■ Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten erreicht Nachkriegsrekord: Der Bericht aus Köln
Gute Nachrichten aus Köln. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat seine Hausaufgaben erledigt. Es ist auf dem rechten Auge nicht mehr sehschwach und vermeldet: „Die rechtsextremistischen Straftaten haben seit 1949 ihren bisher höchsten Stand erreicht.“ Für so viel Realitätssinn möchte man dem BfV zurufen: „Danke, Jungs und Mädels!“ Angesichts des Wahlerfolgs der DVU und des NPD-Aufmarsches in Leipzig werden nur noch notorische Nörgler wie die taz den größten und teuersten Zeitungsausschnittdienst des Landes in Frage stellen.
Überraschendes bietet der Bericht trotzdem nicht. Daß die rechtsextremen Gewalttaten und Propagandadelikte nach einer Phase trügerischer Ruhe seit zwei Jahren dramatisch zunehmen, ist hinlänglich von den Medien dokumentiert. Ebenso, daß die neuen Bundesländer, allen voran Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, an der Spitze liegen. Dem VS-Bericht kommt so lediglich die Aufgabe zu, deutschem Basiswissen das Gütesiegel „Ja, so ist es“ aufzudrücken. Und noch etwas Positives kann, wer denn unbedingt will, dem Bericht abgewinnen. Er erschwert Abwieglern, die bei der Beschreibung der rechtsextremen Szene stets eine sensationslüsterne Presse am Werke sehen, künftig das Geschäft. Damit hat sich der Gebrauchswert des 220 Millionen Mark teuren Zahlenwerkes auch schon erschöpft. Das wird Innenpolitiker allerdings nicht davon abhalten, sich bei ihren Forderungen nach schärferen Strafgesetzen gegen Neonazi-Aktivitäten auf ihn zu stützen. Ebensowenig die Befürworter eines Verbots von NPD und DVU. Dabei läßt der VS-Bericht im dunkeln, welchen Zusammenhang es zwischen dem Anstieg der Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Organisationen und der sprunghaften Zunahme der Straftaten gibt.
Es ist Aufgabe der Wissenschaft und der Presse, hier mehr Klarheit und Differenzierung zu schaffen. Der VS-Bericht belegt vor allem: Die Organisationsverbote der frühen neunziger Jahre, die sich auf die Erkenntnisse des BfV stützten, haben dem Rechtsextremismus als soziale Bewegung nicht geschadet. Auch in Zukunft wird blindes Vertrauen in staatliche Repression gegen rechts enttäuscht werden. Zumindest solange, bis vor allem dem jugendlichen rechtsradikalen Anhang im Osten eine solidarische Gesellschaftsperspektive lohnender erscheint als Ungleichheitsideologien. Eberhard Seidel-Pielen
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