Die Wohnserie (V): Nicht nur ein Dach über dem Kopf
Ob Notunterkunft, Übergangswohnung oder "Billighotel": So vielfältig die Ursachen für Wohnungslosigkeit sind, so vielfältig sind auch die Hilfen für Betroffene
Ungefähr 500 wohnungslose Menschen gibt es in Bremen, und 75 Prozent von ihnen sind Männer. „Den klassischen Berber gibt es kaum mehr“, sagt Anke Burr. Dafür steige die Zahl junger Wohnungsloser stetig an: „Das kann man seit der Einführung von Hartz IV beobachten. Da spielen Konflikte im Elternhaus, frühe Überschuldung, Vorstrafen und die Unfähigkeit, Formulare fürs Jobcenter auszufüllen, eine immer größere Rolle.“
Die ausgebildete Erzieherin arbeitet in der Notunterkunft des Jakobushauses, das wegen seiner bunten Fassade auch „Papageienhaus“ genannt wird. Heute hat sie mit ihrer Kollegin, der Ergotherapeutin Heike Bühring, Dienst im Büro der Unterkunft für obdachlose Männer.
„Die meisten wundern sich, dass hier zwei Frauen arbeiten“, sagt Bühring. Der männliche Kollege, der heute frei hat, sei zwar in vielen Situationen unverzichtbar, „aber der Anteil an heftigeren Auseinandersetzungen ist minimal“. Entgegen verbreiteter Vorurteile seien die wohnungslosen Männer eher unterwürfig: „Ihnen ist ihre Lage meist peinlich.“ Anke Burr ergänzt: „Viele suchen jemanden, mit dem sie reden können – bei Frauen ist da die Hemmschwelle niedriger.“
Die Notunterkunft bietet in Zwei-Bett-Zimmern Platz für 45 Männer, die maximal drei Monate bleiben dürfen: „Manche kommen für eine Nacht oder übers Wochenende, manche bleiben auch länger als eigentlich vorgesehen“, sagt Bertold Reetz, Leiter der Wohnungslosenhilfe des Vereins Innere Mission. Der Grund für die teils langen Aufenthalte liege im knappen Wohnraum: „Der macht Vermieter wählerisch.“ Reetz ist einerseits froh, dass die meisten der rund 1.000 sogenannten „Belegwohnungen“ abgeschafft worden sind, diese von der Stadt Bremen vermittelten und von Wohnungsbaugesellschaften wie der Gewoba bereitgestellten Wohnkontingente: „Das waren Wohnungen, die sich in einem erbärmlichen Zustand befanden und für die es keine Mietverträge gab.“ Andererseits: „Es wurde versäumt, Alternativen zu schaffen.“
Neben der Notunterkunft, die durch zusätzliche Betten auf bis zu 70 Plätze erweitert werden kann, gibt es im Jakobushaus ein Übergangswohnheim mit 32 Einzelzimmern. Hier werden Männer mit besonderen sozialen Schwierigkeiten „wohnfähig“ gemacht: „Sie sind körperlich und psychisch nicht in der Lage, alleine zu leben, und wir helfen ihnen langsam dahin zurück.“ In der siebten Etage des Jakobushauses bietet „Die Sieben“ einer Gruppe von bis zu fünf Männern „trockenen“ Wohnraum: „Hier unterstützen wir diejenigen, die versuchen wollen, künftig ohne Alkohol klarzukommen.“
Wohnungslosen Männern und Frauen bietet der „Jakobustreff“ im Papageienhaus die Möglichkeit, Kaffee zu trinken, günstig zu essen, Wäsche zu waschen und sich auszutauschen, und zweimal wöchentlich können hier Menschen – auch solche ohne Krankenversicherungsnachweis – einen Arzt besuchen.
Diese Versorgung bietet auch das Bremer Frauenwohnheim an, genauso wie einen Tagestreffpunkt. Das „Frauenzimmer“ im Erdgeschoss der Notunterkunft ist allerdings für Männer tabu, und auch die Angestellten sind allesamt weiblich. „Viele der Frauen haben Gewalterfahrungen gemacht und kein Vertrauen zu Männern“, sagt Cordula Krane. Die Heilerziehungspflegerin zeigt den Abstellraum der Wohnung, die für elf Frauen vorgesehen ist, aber auch schon mit 20 belegt war: „Hier gibt es alles, was die Frauen erst einmal brauchen.“ Dazu gehören Seife, Zahnbürsten, Duschgel, Tabak, Tee – viele kommen mit nichts als ihren Kleidern am Leib in die Notunterkunft.
Die Mieten steigen, günstige Wohnungen werden knapp. Das Viertel kämpft gegen die Stadtaufwertung, Tenever dafür. Wohnungsbündnisse werden geschmiedet, zugleich Luxuswohnungen gebaut. Wie leben die Menschen in armen und reichen Vierteln? Die taz beleuchtet, wie BremerInnen wohnen und sich der urbane Raum verändert.
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Die Gründe für den Verlust der Wohnung sind bei Frauen genauso vielfältig wie bei Männern: Überschuldung, soziale Vereinsamung, psychische Erkrankungen, Drogen- und Alkoholsucht und Überforderung: „Viele 18-Jährige kommen zu uns, die mit der Volljährigkeit aus der Jugendhilfe gefallen sind und nun nicht wissen, wohin“, sagt Krane. Manche bleiben ein Jahr, manche einen halben Tag. Und einige kommen immer wieder, auch solche, die schon längst wieder ein eigenes Zuhause haben: „Sie helfen im Frauenzimmer mit oder schauen auf einen Kaffee vorbei.“
Das Frauenwohnheim fällt wegen seiner bunt bemalten Fassade sofort ins Auge. Auch im Treff, der großen Küche mit dem gemeinschaftliche Wohnzimmer, herrscht durch Anstrich, Wandbilder und Zimmerpflanzen eine fröhlich-gemütliche Atmosphäre. Die Zweibettzimmer bestehen aus Betten und Spinden. Allein aufgrund ihrer geringen Größe und der Lage in einer normalen Wohngegend wirkt die Frauenunterkunft deutlich einladender als das Jakobushaus.
Das Hochhaus ist von außen und innen so einladend gestaltet wie möglich, strahlt aber dennoch den Charme einer Jugendherberge der 70er-Jahre aus. „Die Bremer Regierung würde es gerne abreißen“, sagt Reetz. Damit hätte er kein Problem, aber: „Wir bräuchten dann natürlich eine neue Notunterkunft, und wir bräuchten anstelle des zentralen Übergangswohnheims fast 30 Einzelappartments.“ Diese Wohnungen gibt es aber nicht.
Knapper Wohnraum ist manchmal der einzige Grund für Wohnungslosigkeit: „Manche Menschen haben ihre alte Wohnung gekündigt und nicht schnell genug etwas Neues gefunden“, sagt Reetz. Manche haben ihren Partner verlassen oder wurden vom Vermieter wegen Eigenbedarfs gekündigt.
Reetz nennt diese Menschen „Wohnungslose ohne soziale Probleme“, also ohne besondere Hilfsbedürftigkeit, Suchtprobleme, psychische Erkrankungen, Überschuldung oder Vorstrafen – und die möchten meist nicht in eine Notunterkunft: „Die Zentrale Fachstelle Wohnen vermittelt ihnen ein Hotel- oder Pensionszimmer.“ 100 Plätze in diesen „Billighotels“ gibt’s über die ganze Stadt verteilt unter der Voraussetzung, dass der Wohnungslose in Bremen gemeldet ist. Die durchschnittlichen Belegzeiten dieser Notunterkünfte zeigen, wie schwer es ist, in Bremen eine Wohnung zu finden: Mit 120 Tagen liegen sie dreimal so hoch wie die in der Notunterkunft des Jakobushauses.
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