Die Wochenvorschau für Berlin: Auch ohne Koks in Feierlaune
Während die Politik in der Sommerpause schlummert, läuft Berlins Kulturprogramm auf Hochtouren: Lesungen, Pop-Festivals, experimentelle Klangkunst.
taz | Porös klingt selten sexy. Wer hat schon Bock auf eine poröse Brandmauer, poröse Kondome oder poröse Knochen? Doch das Wort hat auch anderes drauf. Offen und zugänglich kann porös dann bedeuten; bereit, neue Räume und Blickweisen zu erkunden und Bestehendes zu hinterfragen. Genau das tun die Autor*innen beim Festival „Poröse Gegenwarten, poröse Texte“ im Literaturforum im Brechthaus. Von Montag bis Freitag lesen sie unter freiem Himmel aus ihren fragmentarischen Prosatexten über gesellschaftliche Risse und Brüche. Mit dabei: Zeitgenössische Autor*innen wie etwa Shida Bazyar oder Temye Tesfu, die das postdeutsche Künstler*innenkollektiv „parallelgesellschaft“ initiiert hat. Im Anschluss finden jeden Abend Partys statt.
Feiern können die Berliner*innen – lang. Woran das wohl liegen könnte hat die Lifestyle-Plattform „Mit Vergnügen“ in Erfahrung gebracht. Sie hat das Profil des Durchschnittsberliners ermittelt und kam zu dem Ergebnis, dass er oder sie 3,8 Tassen Kaffee am Tag und 0,5 Gramm Kokain täglich konsumiert. (Spoiler: Sie hatten Gramm und Milligramm verwechselt.)
Aber auch mit kleinerer Dosierung ist Berlin bereit zu feiern. Fündig werden Feierlustige beim Popkultur-Festival, das von Montag bis Samstag zum elften Mal im silent green im Wedding sowie in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg stattfindet. So einfallslos der Name, so einfallsreich das Programm: Es gibt Konzerte und DJ-Sets, experimentelle Musikformate, Workshops und Diskussionsrunden. In Talks geht es um Themen wie Schwarze Perspektiven in der deutschen Musikindustrie, Musik zwischen Kulturauftrag und Marktdruck und eine nachhaltige Zukunft von Independent-Künstler*innen und -Labels. In der „Çaystube“ wollen die Festivalmacher*innen den Hof der Kulturbrauerei unter dem Motto „Sport und Pop“ in einen interaktiven Raum für Workout-Kultur, Tanz, Musik sowie queere und postmigrantische Perspektiven verwandeln.
Das Ziel des Festivals: jedes Jahr den aktuellen Stand der Popkultur neu ausloten und zeigen, was Berlin an Nachwuchs zu bieten hat. Und der lässt sich sehen: Apsilon, Ebow, Yung FSK 18 und Ceren. Letztere etwa verbindet traditionellen türkischen Gesang mit R&B. Mit ihrem Track „Shabab(e)s im VIP“ zusammen mit dem Berliner Rapper Pashanim landete sie im Mai auf Platz 1 der deutschen Charts. Darin singen sie: „Gucci-Brille an im Club, fühl' mich cool, doch kann nix seh’n.“
Damit sind sie leider nicht allein. So führen sich so einige Szene-Kids auf, die sich in Berliner Clubs oder von Mittwoch bis Samstag beim Atonal tummeln, dem Festival für kulturellen Widerstand und die Berliner Underground-Szene. Das 1982 gegründete Festival für experimentelle Musik präsentiert Installationen, zeitgenössische Klangkunst und interdisziplinäre Performances, die soziale und politische Spannungen der Stadt reflektieren. Über das Kraftwerk sowie die angrenzenden Räume Ohm und Tresor erstrecken sich Auftragsarbeiten, Weltpremieren und Clubnächte. Bleibt nur zu hoffen, dass die Szene trotz Gucci-Brillen etwas davon mitbekommt.
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