: Die Westbankstadt Dschenin ist umgeflaggt
■ Arafats Leute übernehmen die Polizeistation. Kritische Parolen übertüncht
Dschenin/Tel Aviv (taz/AFP) – Nach 28 Jahren der Besatzung hat Israel gestern mit dem Abzug aus der palästinensischen Stadt Dschenin in der Westbank begonnen. Am frühen Morgen wurde zunächst die israelische Polizeistation geräumt. Unter dem Jubel der Bevölkerung trafen gegen Mittag die ersten palästinensischen Polizisten ein. Insgesamt 200 von ihnen sollen bis Mitte November die Kontrolle über die Stadt übernehmen. Bis dahin werden allerdings israelische Militärs das Sagen haben. Anschließend sollen sie sich in ein Militärlager außerhalb der Stadt zurückziehen. Die israelischen Behörden erklärten Dschenin am Abzugstag zur geschlossenen Militärzone.
Dschenin im Norden der Westbank ist die erste Stadt, aus der sich die Israelis gemäß dem Abkommen über die Erweiterung der palästinensischen Autonomie zurückziehen. Bis zum Jahresende soll der Abzug aus fünf weiteren Städten erfolgen, um den Weg für die ersten palästinensischen Wahlen freizumachen. Als Wahltermin gilt derzeit der 20. Januar.
In der ganzen Stadt wurden gestern palästinensische Flaggen gehißt und Spruchbänder aufgehängt, auf denen die Vertreter der Autonomiebehörde begrüßt wurden. An den Häusern hingen Plakate mit dem Konterfei eines strahlenden Jassir Arafat. Auf Anordnung der von ihm geführten palästinensischen Behörden waren zuvor die Häuser der Stadt neu getüncht worden.
Sprüche und Parolen, die das israelisch-palästinensische Abkommen kritisierten, verschwanden so unter weißer Farbe.
Das Material aus der Polizeistation wurde gestern mit einer Lastwagen-Kolonne abtransportiert. Etwa hundert palästinensische Demonstranten versammelten sich vor dem Gebäude, sangen nationalistische Lieder und hissten palästinensische Flaggen. Am Dienstag abend hatten Unbekannte einen Brandsatz auf eine israelische Militärpatrouille geschleudert. Dabei war jedoch niemand verletzt worden.
Bis zum Ende des Jahres soll sich Israel noch aus den Städten Tulkarem, Kalkilija, Nablus, Ramallah und Bethlehem zurückziehen. Für Hebron ist bis zum März 1996 nur ein Teilabzug der israelischen Armee vorgesehen. Dort leben 400 jüdische Siedler unter rund 120.000 Palästinensern.
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