: Die Weltbühne wankt
Antisemitismusvorwürfe, Nähe zur Neuen Rechten, gebrochene Tradition: Die Neuauflage der „Weltbühne“ sorgt für scharfe Kritik. Alte Weggefährt*innen ziehen die Reißleine

Von Andreas Speit
Die Enttäuschung kann Holger Friedrich „gut verstehen“. Der Berliner Verleger hat die Zeitschrift Die Weltbühne neu herausgegeben. Die Neuerscheinung der früheren linksbürgerlichen „Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft“ erfreut Nicholas Jacobsohn auch weniger.
Der Enkel des jüdischen Gründers Siegfried Jacobsohn spricht von einer Enteignung. Die Nationalsozialisten verboten 1933 die Weltbühne.
Im „Ettersburger Gespräch“ auf dem Weimarer Schloss nahe der Gedenkstätte Buchenwald führt Friedrich gegen den Enkel in den Vereinigen Staaten aus, dass er nachvollziehen könne, dass der „amerikanische Ostküstengeldadel“ nun erschrocken sei, von einem „Ossi“ so „an die Wand“ gespielt worden zu sein.
Die bewusste Rhetorik des gebürtigen Ostberliners könnte antisemitische Ressentiments andeuten. In der ersten Ausgabe der neuen Weltbühne im Mai hatte sich schon Deborah Feldman als Expertin für das „Jüdischsein“ geriert. Sie zweifelte fälschlicherweise die jüdische Herkunft des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, an.
Zwei Gründe, warum die Redaktion des antifaschistischen Magazins Der Rechte Rand weiter zu der Weltbühne recherchierte. Dass Herausgeber Behzad Karim Khani die Kritik an seinem Co-Herausgeber Thomas Fasbender wegen dessen Autorenschaft in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit relativierte, war ein weiter Grund.
Im Freitag legte Khani zwar dar, dass das Publizieren in dem „Dreckblatt“ nicht der „Höhepunkt einer seriösen Karriere“ sei, die Zahl der Texte sei jedoch „ziemlich überschaubar“. Für den Autor des 2022 gelobten Debütwerks „Hund. Wolf. Schakal“ sei die Kritik aber nur der Vorwurf einer „Kontaktschuld“. Schuld wegen Kontakt?
Diese Argumentation löst die Veröffentlichung nicht bloß von seinem Inhalt, sie blendet auch aus, dass Fasbender nach Recherchen von Der Rechte Rand alleine von 2014 bis 2023 bis zu 60 Artikel in der Jungen Freiheit veröffentlichte. Als „Russlandexperte“, wo er ein „Vierteljahrhundert“ nach Angaben der Wochenzeitung lebte, beklagter er 2023, dass die Nato die „größte Bedeutung“ beim „Eskalationspotential“ habe.
Im selben Jahr schrieb er in einem Nachruf auf Alexander Art, den „zupackenden Gazprom-Ingenieur“, wohlwollend eine „Projektionsfläche postdemokratischer Sehnsüchte“ zu. Eine „Kunstfigur“ auf Facebook, überlegt Fasbender, nicht ohne weiter auszuführen, dass hier „ein Tatmensch, kein androgynes Hänschen im Konfirmandenanzug, ein He-Man, keine urbane Heulsuse“ präsent war.
Der antiwestliche Sound scheint anzuklingen – gegen Diversität und Liberalität. Dem Rechten Rand fielen ebenso Beiträge von Fasbender in der Cato auf, einem Zeitungsprojekt aus dem neurechten Milieu sowie Auftritte bei der AfD und der Jungen Freiheit. In der extrem rechten Bibliothek des Konservatismus soll er mehrfach referiert haben. Einzelne Bücher von Fasbender erscheinen in einschlägigen Verlagen.
„Kontaktschuld?“, fragt Nina Rink von Der Rechte Rand. Und sie fragt auch bei der taz, warum der Hinweis von Khanin auf seine iranische Herkunft die Kritik an der Rechtslastigkeit revidiere.
Identität soll wohl „ganz natürlich gegen rechts immunisieren“, merkt die Redakteurin an.
In der Recherche fiel dem Rechten Rand auch eine eigene Verstrickung auf. Die Wortmarke Weltbühne will Friedrich von dem Verein Weltbühne e. V. erworben haben. Der Verein aus Dähre gibt die Ossietzky heraus. Im Vorstand des 2024 gegründeten Vereins sitzen Matthias Berger und Katrin Herrmann. Im Editorial begrüßt die Ossietzky die neue Weltbühne.
Die „Neugründung“ sei ein Herzensprojekt von Friedrich, der sie „frühzeitig“ informiert und um ihre Kooperation gebeten hätte. „Die sichern wir gerne zu“, heißt es im Editorial der Ausgabe von 10/2025. Im Impressum werden Berger und Hermann angeführt. Sie betreiben auch die wortwerkstatt, die Druck und Satz anbietet für linke Publikationen. Das antifaschistische Magazin drucken sie seit Jahrzehnten.
Die ehrenamtliche Redaktion hat nun die Zusammenarbeit wegen des prorussischen Kurses und der Kontakte in rechtsradikale Kreise aufgekündigt. Das möchte Berger nicht direkt kommentieren. Der Verein habe bloß die Wortmarke verkauft, sagt er der taz. Sie hätten anfänglich Bedenken gehabt, ob das neue Magazin nicht Konkurrenz sein könnte. In Gesprächen – auch mit Friedrich – wären diese Sorgen ausgeräumt worden. „Wir sind Antifaschisten“, versichert Berger, zu Russland hätten sie aber eine andere Meinung als Der Rechte Rand.
Seit rund 35 Jahren erscheint das Magazin alle zwei Monate. „Wir haben uns immer für eine klare Grenzziehung zum Autoritären starkgemacht“, sagt Rink. Zu ihrem Bedauern wurde eine Grenze überschritten. Die neue Weltbühne sei weit entfernt den Positionen eines Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky, die die legendäre Zeitschrift prägten.
Die kommende Ausgabe des Rechten Rands wird später erscheinen. „Unsere Abonnent*innen dürften die Entscheidung mittragen. Wir sind Teil der Brandmauer“, betont Rink.
Transparenzhinweis: Der Autor schreibt auch für den Rechten Rand
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