Die Welt zu Gast

Pop und Spiele: Zur Fußball-WM zeigt Deutschland demonstrative Weltoffenheit – mit massiver Musikunterstützung. Dabei ist diese in der hiesigen Szene schon längst alltäglich geworden

Von DANIEL BAX

Es wird nun also doch keine WM-Gala geben, wie sie André Heller im Olympiastadion in Berlin zum Auftakt des Fußball-Wettbewerbs geplant hatte: ein multimediales Spektakel mit „713 Musikern aus 32 Ländern“, darunter Peter Gabriel und Brian Eno, das Raptrio Black Eyed Peas, der franko-algerische Rai-Star Khaled und die Sopranistin Jessye Norman, das von über 100 TV-Sendern weltweit übertragen werden sollte.

Die Veranstaltung wurde abgesagt, als Ereignis hätte sie allerdings nur zu gut zum deutschen Hang gepasst, eine Sportveranstaltung als Bühne zur musikalischen Weltverbrüderung zu nutzen. Berühmtheit erlangte schon der neunzigminütige „Einzug der Nationen“, den Orchesterchef Kurt Edelhagen zu den Olympischen Spielen 1972 in München komponierte. Dazu verwob der führende Bigband-Chef der Bundesrepublik damals Motive aus asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Volksliedern zu einem swingenden Folklore-Medley. André Heller muss nun zum Trost mit einer abgespeckten Mini-Gala vor dem Eröffnungsspiel in München Vorlieb nehmen. Und dem durchschnittlichen Pop-Konsumenten bleibt immer noch der offizielle WM-Song, den Herbert Grönemeyer mit dem afrikanischen Popduo Amadou & Mariam aufgenommen hat, das hierzulande allerdings kaum einer kennt.

„Zeit, dass sich was dreht“ heißt das Stück, das Grönemeyers hemdsärmelige Macher-Attitüde mit dem spröden Gitarrenrock aus Mali zur stadiontauglichen Mitgröl-Hymne kombinieren will. Zum Finale am 9. Juli in Berlin wird ja Shakira erwartet, die zum Aufwärm-Training ihren aktuellen Hit „Hips don’t lie“ vortragen wird. Hüften lügen nicht? Wer weiß. Sicher aber ist, dass während der WM nicht nur der Himmel voller Bälle hängen, sondern auch viel Musik in der Luft sein wird. Denn praktisch kein WM-Austragungsort kommt ohne musikalisches Rahmenprogramm aus.

Erst langsam rollt auch die Erscheinungsflut von WM-Singles und Fußball-Compilations heran, die vor allem eines eint: ihre extrem begrenzte Haltbarkeit. Denn wenn sich die WM-Hysterie wieder gelegt hat, werden die meisten dieser musikalischen Schnellschüsse auch wieder zu Recht in Vergessenheit geraten sein. Oder erinnert sich noch jemand an „Copa Da Vida“, mit dem Ricky Martin vor acht Jahren auf die WM in Frankreich einstimmte? Oder an den namenlosen Song von Anastacia bei der WM in Japan und Korea? Oder eines der Stücke, die die deutsche Nationalmannschaft mit wechselnden künstlerischen Leitern einsang?

Bei einer Fußball-WM geht es schließlich um anderes: Der Ball macht die Musik. Oder: Gespielt wird auf dem Platz. Doch es sind vor allem die Sportartikelfirmen, die aus der Symbiose von Fußball und Musik auch für sich kommerzielle Synergieeffekte herausschlagen wollen. Manchmal kann sich das Ergebnis hören lassen: etwa, als Nike für einen Werbespot einst den brasilianischen Klassiker „Mas Que Nada“ in einer neuen Version auffrischte. Im aktuellen Werbespot mit Ronaldinho ist nun ein Song der innovativen brasilianischen Percussion-Gruppe Barbatuques zu hören, die dadurch nun weltweit bekannt wird. Auch Adidas sucht den musikalischen Anschluss. Zur Fußball-WM bezieht es eine eigens aufgebaute Arena, die 10.000 Besucher fasst und direkt vor dem Reichstag steht.

Den Sportartikel-Firmen kommt zugute, dass bestimmte Nationalfahnen auch mit einer bestimmten Musik assoziiert werden: allen voran die brasilianische und die britische, zwei große Fußball- und Musiknationen. Gleiches gilt aber natürlich auch für Jamaika, dessen Galionsfigur Bob Marley einmal schlicht verkündete: „Fußball ist Musik.“ Zwar ist das Land des Reggae selbst diesmal nicht bei der Fußball-WM vertreten. Dafür finden sich die Rasta-Farben Grün-Gelb-Rot aber in den Flaggen afrikanischer Nationen. Aus dieser Verbindung schlägt die Firma Puma Kapital, indem sie mit diesen Farben für sich wirbt. Dafür bringt Puma unter dem Titel „Africa plays on“ aber auch einen sehr schönen Sampler mit afrikanischer Popmusik heraus: Das Duo Amadou & Mariam ist darauf vertreten, aber auch das Rap-Trio Daara J aus dem Senegal und der Reggae-Star Alpha Blondy von der Elfenbeinküste.

Ebenfalls hörenswert ist der Sampler „Play Up!“, den die Hamburger Firma Juno zusammengestellt hat. Neben Waldemar Bastos aus Angola, Jun Miyake aus Japan oder dem gebürtigen Brasilianer und Wahl-New-Yorker Arto Lindsay sind hier vor allem deutsche Bands und Interpreten vertreten, die für einen betont weltoffenen Sound stehen: Es gibt einen Fußball-Song vom Reggae-Star Patrice aus Köln, türkisch-deutsche Clubsounds von der Band Orientation aus Berlin, die mit „Altin Gol“ das „goldene Tor“ besingt, sowie das groovige „Play Boy“ der deutsch-nigerianischen Sängerin Ayo. Die sympathische Compilation erinnert daran, dass die Welt nicht nur zur Fußball-WM „zu Gast bei Freunden“ ist, wie das offizielle Motto lautet. Sondern dass diese Welt längst schon ein Teil deutscher Wirklichkeit geworden ist. Weswegen man diese Symbiose in der Musik eigentlich nicht erst mit großem Aufwand herstellen und mühsam zelebrieren muss. Man kann ihr auch alltäglich begegnen, ob auf der Straße oder auf einem der vielen Festivals, die es in diesem Sommer allerorten gibt.