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Die WahrheitHeringe und andere Pupser

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (230): Kacke, Pisse und ähnliche animalische Ausscheidungen sind wissenschaftliche Schmuddelkinder.

In allen sieben Weltmeeren sind Heringe als rücksichtslose Furzfische gefürchtet Foto: dpa

Der Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa legt in seiner „Soziologie der Weltbeziehung ‚Resonanz‘“ (2019) nahe, „dass die Moderne ihre Aufmerksamkeit auf das Einverleiben, Kontrollieren und Verarbeiten von Welt richtet, nicht jedoch auf das Sichöffnen, Loslassen und Zurückgeben; dass ihr Weltverhältnis also nicht auf organische Austauschprozesse, sondern auf Beherrschung und Schließung zielt.“

Während die Postmodernen gerade lernen, ihre Scheiße und Pisse in Klärwerken wertzuschätzen, haben umgekehrt die Chinesen, die Jahrtausende mit der Scheiße der Städter ihre Äcker düngten, auf Kunstdünger umgestellt. Der Abteilungsleiter für Bodenbearbeitung im US-Landwirtschaftsministerium Franklin H. King hatte 1909 noch den Umgang der Chinesen mit ihrer Scheiße bewundert; den er die „bedeutendste Leistung dieses Kulturvolks“ nannte.

Hierzulande wird neben Kunstdünger immer noch „Naturdünger“ verwendet: unter anderem Gülle und die Kacke von Seevögeln, die in ihren Brutgebieten meterhoch liegen, „Guano-Dünger“ genannt.

Über das Essen gibt es ganze Bibliotheken, während es über unsere Ausscheidungen nur wenige Studien gibt, und wenn, dann meist medizinische über Verstopfung oder Durchfall. „Weltbeziehungsstörungen“ nennt Rosa diese Leiden, sie rühren bei uns meist aus einer zu gründlichen Entfremdung von der eigenen Scheiße her: „Es gelingt nicht [mehr], die Welt durch den Leib hindurchzuprozessieren,“ so Rosa.

Pinkeln in 21 Sekunden

Die Wildtiere haben damit immer noch (!) weniger Probleme. Der amerikanische Biologe Joe Roman schreibt in seinem Buch „Eat Poop Die“ (2024), dass sie sich über Ozeane, Flüsse und Berge begeben und dort ihren Kot, ihren Urin und ihre Kadaver hinterlassen, wodurch Stickstoff und Phosphor aus den Schluchten der Tiefsee auf die Berggipfel, von der Arktis bis in die Karibik verteilt wird. Ohne dieses Transportsystem für lebenswichtige Nährstoffe sähe die Welt anders aus. Hierbei gilt Ähnliches wie für die menschlichen Ausscheidungen: Ihre Auswirkungen auf die Ökologie werden nur wenig erforscht.

Eine Ausnahme ist die walisische Bergbäuerin Ruth Janette Ruck: In ihrem Buch „Als das Lama zu uns kam“ (2021) widmete sie der Scheiße dieses auf andere Art als Hauskatzen sehr reinlichen Tieres ihre Aufmerksamkeit und verglich sie mit den Ausscheidungen der anderen Wiederkäuer auf ihrem Hof.

Amerikanische Fäkalienforscher fanden heraus, dass alle Säugetiere über drei Kilo – egal ob Elefant, Mensch oder Hund – 21 Sekunden zum Pinkeln brauchen. Die Mehrzahl der Weibchen hockt sich hin, die Mehrzahl der Männchen pinkelt im Stehen, einige, wie Bullen und Ziegenböcke, pinkeln sich dabei ans Bein, letztere auch ins Maul. Das empfehlen auch indische Heiler. Kondore und Störche kacken sich zwecks Kühlung an die Beine, einige Insektenlarven bauen sich aus ihrem Kot einen Panzer gegen Fressfeinde. Was bei uns als Perversion gilt, das Scheißefressen, ist für einige Tiere lebensnotwendig: Hasen, Biber, Koalas, Termiten verdauen auf diese Weise ihre Nahrung noch einmal. Der Insektenforscher Maurice Maeterlinck fand bei den Termiten, das ginge zu weit.

Profis in Sachen Kot

Der Wiener Biologe Peter Iwaniewicz erwähnt in seinem Buch „Menschen, Tiere und andere Dramen“ (2018) die „Trocken-Schüttel-Formel“. Sie gilt laut Bild der Wissenschaft für alle Säugetiere: „Frequenz = Masse hoch 0,22“. Das „Schütteln bei Nässe ist ein uralter Überlebensmechanismus“, bei haarlosen Säugetieren wie dem Menschen ist davon nur noch ein „Reflex zum unwillkürlichen Kopfschütteln nach dem Urinieren“ übrig geblieben. Ganz verloren hat sich der Drang, unser Revier mit Urin zu markieren, wie es Hunde tun, die angeblich im Geruch des Urins von einem anderen Hund wie in einer Zeitung lesen können.

Wissenschaftler der Universität Boston fanden kürzlich heraus, dass auch die Hummer Urin „lesen“ können: An Menge und Geruch erkennen sie die Über- bzw. Unterlegenheit von Artgenossen – eine Riech-Interpretation, die typisch für US-Forscher ist. Da sie zudem noch herausfanden, dass die Harnblase der Krebstiere vor dem Gehirn an der Basis des zweiten Fühlerpaars liegt, hätten sie eigentlich darauf kommen können, dass der fremde Urin einem Hummer noch viel mehr zu denken gibt.

Zu den mehr oder weniger festen Ausscheidungen von Tieren seien noch zwei Zoo-Tierpfleger erwähnt, die in einer „Wetten dass …“-Sendung 33 Kothaufen den dazugehörigen Tieren zuordneten. Iwaniewicz erwähnt das Kinderbuch „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“. Der befragte nacheinander eine Taube, ein Pferd, einen Hasen, eine Ziege, eine Kuh und ein Schwein. Alle bewiesen ihm ihre Unschuld: ‚Ich, nein, wieso? Ich mach so‘. Von Fliegen, den Profis in Sachen Kot, erfährt der Maulwurf schließlich, wer der Übeltäter war, und kann sich am selbigen, dem Hund des Metzgers, rächen.

Der Wiener Biologe behauptet, dass wir ein Milligramm Scheiße noch in einer großen Halle riechen können. Wie das bei den Fürzen ist, erwähnt er nicht, wohl aber, dass die Psychoanalytikerin Mara Sidoli 1998 einen Preis für ihre Studie „Furzen als Verteidigungsreaktion auf unaussprechliche Angst“ bekam, und dass das zur Verdauung notwendige Rülpsen und Furzen der Wiederkäuer wesentlich zur Klimaerwärmung beiträgt.

Kraftlose Wracks voll Scheiße

Gilt das nicht auch für Heringe? Die Fischer kennen schon lange das „Heringsfurzen“, schottische Fischforscher fanden nun heraus, dass die Heringe sich untereinander „mit Pupsen verständigen“, wie „wissenschaft.de“ schreibt.

Der russische Zoologe und Nobelpreisträger Elie Metchnikow stellte die These auf, dass unser rasches Altern „alles andere als normal“ ist. Er machte dafür eine Art „Selbstvergiftung“ durch die Produkte bakterieller Zersetzung im Darm verantwortlich. Die Säugetiere, so meinte Metchnikow, scheiden ihren Kot nicht im Laufen aus. Wenn sie es jedoch beim Stillstehen oder wie wir im Hocken tun, setzen sie sich zahllosen Gefahren aus. Um nun die bestmögliche Zeit für die Kotentleerung finden zu können, brauchen Säugetiere geräumige Därme, in denen sie ihren Kot speichern können. Diese schädlichen Verdauungsabfälle können sich zu einer „chronischen und kumulativen Toxämie pathologischer Senilität“ entwickeln. Auch Tiere können senil und dement werden.

Der englische Gerontologe P. B. Medawar wandte gegen Metchnikow ein: „Fischer, die normalerweise nur in Abständen von zehn Tagen Stuhlgang haben, sind nicht die kraftlosen Wracks, die wir in ihnen nach seiner Theorie erwarten müssten – ein harter Schlag für Metschnikows Theorie,“ so Medawar.

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