Die Wahrheit: Sanfter Schmuddelsex für Alte
Nach dem New-Adult-Trend drängt jetzt die schlüpfrige Old-Adult-Literatur mit Schmackes auf den Buchmarkt und bedient die lechzende Klientel.
Lange dachte man in der Buchbranche, knisternde Fantasy-Groschenromantik und erotische Drachenabenteuer seien nur etwas für junge Leserinnen und Leser. Der neue Book-Hype Old-Adult beweist, dass dem nicht so ist. Auch die alte Leserschaft mag es schlüpfrig. Denn: Erotik wird bei Old-Adult-Romanen groß geschrieben. Allerdings auch alle anderen Wörter, ist die Zielgruppe doch größtenteils zwar weitsichtig wie ein Mäusebussard, kann dabei aber kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Das Booktok der alten Generation ist der jüngst gegründete Lesezirkel „Lustgreis“, der Altenheime und Rentner in der ganzen Republik mit immer neuem heißen Lesestoff versorgt, der – so der Claim – „süchtig macht wie Morphiumpflaster“.
Und bei „Lustgreis“ weiß man, was die Leser wollen: Hauptsache gut zu lesen und spicy muss es sein. Aber auch nicht zu spicy, so steht es erklärend in der Werbebroschüre, schließlich will man die empfindlichen Mägen nicht unnötig überreizen.
Der Schreibstil im New-Adult-Genre ist durchwegs schlicht und auf das Wesentliche runtergerockt wie das Gesundheitssystem. Der typische New-Adult-Autor weiß genau: Hier hat keiner mehr Zeit für Nebensätze und zweite Ebenen. Wer umständliches Geschwafel und Fantasiegeschichten ohne Plotpoints oder gelungene Wendungen hören will, der kann auch einfach in den Aufenthaltsraum der Demenzstation gehen. Bei Old-Adult hingegen haben die Storys noch einen roten Faden und bringen so manchen Kreislauf mehr in Schwung und so manches Blut stärker in Wallung als die heimlich geexte Pulle Doppelherz vor dem Familienbesuch.
Doch woher kommen all die versilberten Schund-Storys? Renate R. vom Seniorenstift „Graue Mäuse“ in Kassel schreibt mit ihrem Erotik-Kracher „Der Vampir von Vellmar“ derzeit bereits an ihrem dritten Old-Adult-Roman. „Die Idee dazu schwirrte mir schon im Kopf herum, seit der Pfleger zweimal die Woche kommt und mir hinterrücks Blut abnimmt“, so Renate R. „Danach habe ich immer ganz weiche Knie und muss mich erst mal hinlegen.“
Kosmos mit Pfleger
Die Liebe zum Pfleger ist ein typischer und immer wiederkehrender Trope im Old-Adult-Kosmos. Das erklärt uns die Buchhändlerin Katarina F. der Buchhandlung Leselupe aus Marburg. „Eine klassische Liaison mit Age Gap, die in einen erotischen Graubereich führt und ganz nebenbei die Grenzen der Kassenleistung mutig in Frage stellt und dieses spannende Feld neu ausloten möchte.“
Das Motiv findet sich auch im absoluten Bestseller des Genres wieder: „Old Souls – Liebe zwischen den Welten“ vermählt märchenhafte Fantasyelemente mit Versatzstücken einer gegenwärtigen, hochtechnisierten Welt. „Old Souls“ erzählt die romantische Liebe von Dante, einem in die Jahre gekommenen Kristallminenarbeiter, und der Sternenjägerin Katelyn, einer Zeitreisenden, die auf der Flucht vor den Reitern der Finsternis bei Dante Unterschlupf findet und sich seiner annimmt. Beim Einmassieren seines grauen Brustkorbs mit Silberkraut vom Planeten Migdar, das seine Staublunge heilen soll, springt der Funke über: Die alte Heizdecke beginnt zu brennen und nur mühsam kann Katelyn das Feuer in der Hütte löschen. Dafür lodert es fortan in ihrem Herzen weiter.
Abhilfe mit Salbe
Eine Liebe auf Pflegestufe 1 bahnt sich an, doch der finstere Lord Frederick, Herrscher des schwarzen Ordens, möchte einen Keil zwischen sie treiben und streicht von einem Tag auf den anderen die Mittel für das kostbare Silberkraut. Wird Katelyn Nachschub besorgen können? Wie lange hält der röchelnde Dante noch durch? Ein spannender Ritt durch die Zeitstränge und die Lieferketten der Medikamentenindustrie beginnt. Kann eine neue Salbe Abhilfe schaffen, oder wird Dante sie verschmähen, weil sie eine andere Farbe hat?
Buchhändlerin Katarina F. sieht bei all den unterschiedlichen Geschichten immer wieder auch starke Parallelen des Genres zum New-Adult-Genre: „Die Motive ähneln sich natürlich, etwa in Sachen unerklärlicher Echsenfetisch. Stark nachgefragt sind auch bei Old-Adult erotische Drachenromane. Diese mystischen Wesen, die die Zeit überdauern, mit ledriger Haut umspannt sind und aus reptilienartigen Augen auf die Erde blicken und im Altenheim oder auf der heimatlichen Couch auf das Mittagessen warten – die langweilen sich eben stark. Da kommen ihnen irgendwelche Drachengeschichten gelegen und bringen wieder etwas Feuer in den Alltag.“
Alldem sollte man aber nicht allzu wertend gegenübertreten, meint Katarina F., vielmehr wohne dem Hype eine versöhnliche Erkenntnis inne. Schließlich zeige der Old-Adult-Trend doch, dass – ob alt, ob jung – wir uns sehr viel näher sind, als man auf den ersten Blick meinen könnte, und uns eines eint: dass wir alle kleine, versaute Leserschweinchen sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert