Die Wahrheit: In der gelben Presse
Wer schon einmal die schwedische Königin in echt gesehen hat, und Schundhefte aller Art verschlingt, die erlebt ihr blaublütiges Wunder im Praktikum.
I ch brauchte einen Job. Über das Amt bekam ich ein Angebot: Eine Entwicklungsredaktion suchte Mitarbeiter, die sich mit dem königlichen Nachwuchs aus aller Welt beschäftigen wollten, bevorzugt aber mit dem britischen Königshaus. Denn es sollte ein neues Revolverblatt auf den Markt geworfen werden, weil es in der Welt noch nicht genug Yellow Press gab.
Ich war begeistert: Das war genau mein Metier! Ich hatte schon einmal die schwedische Königin gesehen, also in echt, und ich hatte Schundheftchen immer verschlungen. Die Bewerbung mit meinen Referenzen war schnell geschrieben, die Einladung zur Probearbeit folgte auf dem Fuße.
Und wie staunte ich da! Ein gläsernes Verlagshaus! Verklebt mit alten Zeitungen! „Zur Sicherheit!“, erklärte mir die Frau, die mich an einer geheimnisvollen Säule lachend abholte. Dann führte sie mich ins Büro der Chefredakteurin. Sie sah haargenau aus wie Heidi Klum, nur ihre Haare waren anders und brünett. Sie lächelte mich mit gefletschten Zähnen an. Ich lächelte zurück und versuchte dabei, ebenfalls meine Zähne zu fletschen.
Bevor es aber an die Arbeit ging, bat mich die Chefin, einen Vertrag zu unterschreiben, mit dem ich mich dazu verpflichtete, zehn Jahre lang nie, nie, nie beim Leben meiner Mutter nichts über meine Probearbeit zu berichten. Und wenn ich es doch täte, würde mich der Blitz beim Scheißen treffen, Warzen würden mir auf den Augäpfeln wachsen und ich müsse 15.000 Euro bezahlen. Ich unterschrieb leichten Herzens, denn ich hatte nichts Böses im Sinn.
Warum nur dieses Pflaster auf der Glatze?
Jetzt konnte es endlich losgehen! Meine erste Aufgabe: Ich musste eine fertig gestaltete Doppelseite mit Text füllen. Es ging um Prinz Harry. Die freien Textstellen sollte ich mit etwas Ausgedachtem ergänzen. „Er wäre so gerne James Bond!“, schrieb ich über ein Bild, das Prinz Harry mit einem Aston Martin zeigte. Dann rief die Chefin zur Konferenz. Wir sahen uns Fürstenbilder von Monaco an und spekulierten darüber, warum er ein Pflaster auf der Glatze hatte. Häusliche Gewalt? Eine Kneipenschlägerei mit Ernst August von Hannover? Oder gar eine heimliche Liebe?
Die Chefin fragte mich direkt: „Corinna, was würden Sie jetzt tun, um das herauszufinden?“ Ich antwortete: „Na ja, ich würde all meine Freunde und Vertrauten im englischen Königshaus anrufen und fragen, ob sie einen Schimmer hätten, was bei den neureichen Monacos los ist. Bei denen geht es ja zu wie bei Hempels unterm Sofa.“ Sie sah mich eisig an. Vermutlich ahnte sie, dass ich keine Verbindungen zu einem Königshaus hatte.
Nach der Mittagspause lud mich die Chefin zum Gespräch. Wir lächelten einander an: „Frau Stegemann, Sie wissen es doch selbst … Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg.“ Beinahe hätte ich ihr einen Handkuss mit Kratzfuß gegeben. Aber an meiner Erfolgsstory als Klatschreporterin werde ich noch arbeiten müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Einwanderung und Extremismus
Offenheit, aber nicht für Intolerante
CDU-Länderchefs gegen Bundestagsfraktion
Sexuelle Identität entzweit Union
Verkehrswende in Paris
Blick in die Zukunft
Nicht-binärer Geschlechtseintrag
Zweitpass gegen Diskriminierung auf Reisen
Straße wird umbenannt
Berlin streicht endlich das M-Wort
Anschlag auf Pipelines 2022
Tatverdächtiger für Angriff auf Nordstream verhaftet