Die Wahrheit: Rassereinen Wein einschenken
Als Genussalkoholiker dort urlauben, wo sich die blaubraune Reblaus unter Winzern ausbreitet? Keine gute Idee. Gäbe es nicht ein paar Vernünftige.
N eulich schlug die AfD von Sachsen-Anhalt vor, das Tourismuskonzept „Straße der Romanik“ umzubenennen in „Straße des Deutschen Reiches“. Damit werden die Realitäten in diesem Bundesland, das man völlig zu Recht mit S.A. abkürzt, anerkannt: Hier können Nazis getrost Urlaub machen. Das hat man auch im Burgenlandkreis, in der schönen Weinregion, ganz im Süden von S.A. begriffen und passt das Tourismuskonzept dieser Zielgruppe an.
Meine Freundin und ich sind zwar keine Nazis, aber da wir einen DDR-Hintergrund, blonde Haare und auch sonst keine auffälligen Abweichungen von den autochthonen S.A.lern haben, weil wir nämlich Teil dieser Bevölkerungsgruppe sind, trauen wir uns ein paar Tage Urlaub im Jahr dort zu.
Bei Weißenfels wehen uns die ersten Reichskriegsflaggen in den Schrebergärten entgegen. Halbnackte Nazis stehen an der Weißglut und heben die Grillzangen zum Deutschen Gruß. Wenn man nichts auf die Fresse will, radelt man weiter, umgeben von Weinbergen, romantischen Burgen und pittoresken Burgenlandkreislern, die sich nicht entscheiden können, ob sie nun AfD oder BSW wählen sollen. Früher war eben alles einfacher.
In dem Örtchen Leißling schmückt ein liebevoll aufgehobenes Bundestagswahlkampfplakat von Sahra Wagenknecht samt Gartenzwergen einen Vorgarten und gemahnt uns, keine Kriegstreiber zu sein. An der Stadtmauer von Naumburg entdecken wir, neben den üblichen Hakenkreuzen als Orientierungshilfe für den rechten Wanderburschen, auch den Schriftzug „Hi Hidler“ in kreativer „Rechts„schreibung, wohl als Zeichen dafür, dass man als Kleinstadtnazi total tiktoktauglich rüberkommen kann. Kurz überlege ich, ob es sich bei dem Graffito doch um einen ironischen Warnhinweis der Naumburger Antifa handeln könnte, diese Stadt möglichst schnell wieder zu verlassen.
Bei der Rudelsburg stehen Bis- und Langemarck-Denkmäler herum, die jedes Jahr Burschenschaftler in diversen braunen Farben anlocken. Und nebenan auf Burg Saaleck fanden einst die rechtsextremen Mörder von Walther Rathenau Unterschlupf.
Warum wir dort Urlaub machen? Weil wir Genussalkoholiker sind und es ein paar Vernünftige gibt – wie unseren Weinwirt. Doch die blaubraune Reblaus breitet sich unter den Winzern aus. Er berichtet von einer Sitzung, in der durchgesetzt werden sollte, fortan nur reine Rebsorten auf den Anbauflächen von Saale-Unstrut zu erlauben und keine Kreuzungen mit amerikanischen Reben.
Rechts wie links – im Osten macht der Antiamerikanismus vor den Hängen nicht halt, obwohl diese transatlantische Kreuzung resistent ist gegen Pilze und gut in den Steillagen ohne Chemie angebaut werden kann. Hat nicht auch die amerikanische Lebenskultur nach 45 entscheidend zu einer stärkeren Resistenz gegenüber dem Nazismus beigetragen? Eben. Ami-Wein go home!
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