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Die WahrheitScharmützel mit Zucker

An der deutsch-polnischen Grenze geht es momentan hoch her. Rangeleien der Kellenschwinger auf beiden Seiten sind an der Tagesordnung.

Tag und Nacht die Kellen schwingen: Das schwere Los der Beamten an der deutsch-polnischen Grenze Foto: dpa

Feiner Nebel legt sich auf den Asphalt der polnisch-deutschen Grenzbrücke zwischen Krajnik Dolny und Schwedt. Unten gurgeln die tückischen Strudel der Oder. Oben stehen sich in Camouflage die Grenztruppen zweier befreundeter EU-Staaten gegenüber. Mit entschlossenen Mienen und gezückten Polizeikellen. An beiden Brückenköpfen: Hunderte Pendler in ihren Autos, in der Hoffnung auf schnelle Abfertigung.

„Seit Montag null Uhr null wird zurückgeschützt“, sagt Arek, 31, Kommandant einer sechsköpfigen Einheit des polnischen Grenzschutzes. Ein Mann mit kantigem Gesicht und der Ruhe eines Dorfpolizisten, der seit Jahren auf seinen großen Einsatz wartet. Mit dem Beschluss Warschaus, die deutschen Grenzkontrollen zu erwidern, ist es seit Anfang dieser Woche so weit. Unterstützung bekommt Areks Truppe von einer örtlichen Bürgerwehr. Die Freiwilligen tragen rot-weiße Binden mit dem Logo der PIS-Partei an den Grußoberarmen und kleine fiese Pfefferspraydosen an den Gürteln. Dazu Blicke wie aus einem Youtube-Kommentarbereich.

Die Stimmung zwischen den Grenzern beider Nationen ist, höflich gesagt, unterkühlt. Nur einige Meter Niemandsland trennen die uniformierten Männer und Frauen, aber gefühlt liegen Welten zwischen ihnen.

Es begann gleich am Montag mit feinem Spott. Die Polen machten sich über die Outfits der deutschen Kollegen lustig – „die Kolleginnen nicht zu vergessen“, wie Arek süffisant ergänzt. „Mit ihren Antonio-Rüdiger-Bärten sehen die irgendwie alle gleich aus. Wie eine Truppe Hipster aus einem Berliner Bioladen“, lacht er. Auch die Sonnenbrillen der Deutschen irritieren ihn: „Vor allem, dass sie die sogar nachts tragen“, grinst der ebenso kernige wie stets glatt rasierte Pole.

Grotesker Flipperverkehr

Jetzt steht Arek neben einer Batterie hoheitlicher Stempel und schaut zufrieden zu, wie sein Team den nächsten Wagen zurückweist: Ein Mercedes mit Hamburger Kennzeichen, den die Deutschen eben noch lässig durchgewunken haben. Sein Befehl ist schlicht: Wer von den Deutschen durchgelassen wird, wird von den Polen zurückgeschickt. Und umgekehrt. Ergebnis: Ein grotesker Flipperverkehr, der sich in immer gefährlicheren Schleifen dreht. Fahrzeuge, die schon halb in Polen sind, müssen wieder zurücksetzen. Deutsche Pendler versuchen, auf der schmalen Fahrbahn zu wenden, oder rangieren rückwärts in den deutschen Kontrollbereich – um dann wieder vorwärts nach Polen geschickt zu werden. Jeder Richtungswechsel erhöht das Unfallrisiko.

Seit Montag gab es fünf Beinahe-Crashs, zwei Stoßstangenkontakte, einen abgeknickten Außenspiegel. „Das entwickelt sich hier wie in einem deutschen, also ziemlich schlechten Videospiel“, sagt Arek amüsiert, während ein Bremer Rentnerehepaar mit Wohnmobil versucht, rückwärts einen polnischen Reisebus zu umkurven. Die Verzweiflung ist greifbar. Die Fahrer steigen aus. Der Rentner schreit. Seine Frau weint. Der Verkehr steht, aber das Prinzip bleibt: Wer durchkommt, wird zurückgeschickt.

Die Lage eskaliert dann am Dienstag gegen elf Uhr. Bis dahin blieb es beim verbalen Geplänkel: Ein paar schale Witze über geklaute Autos, stark behaarte Kartoffeln und andere Nationalklischees. Dann aber posiert eine Gruppe deutscher Grenzer für ein Selfie: am Schlagbaum, in Reih und Glied, genauso wie auf jenem ikonischen WK-II-Foto vom Einmarsch 1939. Für die Polen ist das der Tropfen. Auch Arek zeigt sich jetzt ganz ungeniert emotional: „Das ist kein Spaß mehr – das ist Geschichtsklitterung pur.“

Überdrehte Geburtstagsparty

Die Polizeikellen zucken zuerst auf polnischer Seite. Was folgt, ist keine kleine Rangelei. Es ist ein offenes Scharmützel, bei dem sich polnische und deutsche Grenzer mit ihren in China hergestellten Polizeikellen befechten. Dann fliegen Stempelkissen. Areks Leute schleudern sie aus vollen Kartons gegen die Deutschen. Rote, grüne und blaue Tintenkissen treffen Uniformen, Sonnenbrillen, Bärte. Die Deutschen wehren sich mit Fingerabdrucktinte, werfen die Fläschchen wie kleine Handgranaten oder Molotowcocktails. Was aussieht wie eine überdrehte Geburtstagsparty mit zu viel Zucker im Tee, ist in Wahrheit die erste Stempelkissenschlacht auf europäischem Boden.

Im Hintergrund schreitet unterdessen die Bürgerwehr zur Tat. Während die offiziellen Grenzer noch mit Kellen und Tinten beschäftigt sind, wagen die PiS-Freiwilligen einen durstigen Vorstoß: Sie überwinden irregulär die Grenze und dringen in den deutschen Zollcontainer ein. Minuten später schleppen sie mehrere Batterien beschlagnahmten polnischen Wodkas und Kräuterlikörs in einem klapprigen Einkaufswagen über die Brücke zurück ins Herstellerland. Noch vor Ort wird ein Teil der Ladung „verflüssigt“. Der Rest verschwindet in Rucksäcken – oder Körpern.

Punkt zwölf zieht Arek die Reißleine. Mittagspause. Die Ampel wird abgeschaltet, die Schranke fällt. Das Schild „Pause bis 13 Uhr“ wird aufgestellt – in drei Sprachen. Der Grenzverkehr ruht und auf beiden Seiten herrscht Stille. Nur ein russischer Lkw, beladen mit einem Kontingent original Krakauern, darf unbehelligt passieren. Warum weiß niemand. Und niemand kontrolliert, ob sich zwischen den polnischen Würsten vielleicht ein paar Wiener verstecken.

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