Die Wahrheit: Sandsäcke für den Frieden
Eine kleine Straße in Dortmund gerät auf einmal in den Brennpunkt der Weltpolitik und verursacht einen offenen Aufruhr in Nahost.
Der Weltfrieden ist in Gefahr. Doch was hilft es, ohnmächtig dagegen zu protestieren? Im Dortmunder Stadtteil Menglinghausen haben einige Bürger jetzt eine neuartige Initiative ergriffen und dem iranischen Staatsoberhaupt Ali Chamenei eine Nachricht gesandt, in der es heißt: „Wir, die Bewohner des Benno-Niggemeyer-Wegs in Dortmund, blicken mit großer Sorge auf das Kriegsgeschehen in Ihrem Land. Medienberichten zufolge haben Sie der internationalen Staatengemeinschaft die Schließung der Straße von Hormus angedroht, die für die Ölversorgung der gesamten Welt von eminenter Bedeutung ist. Auch wir Dortmunder würden darunter leiden. Ihr Bedürfnis nach Vergeltung ist uns jedoch begreiflich. Deshalb möchten wir Ihnen das folgende Angebot unterbreiten: Wenn Sie die Straße von Hormus offen halten, erklären wir uns freiwillig dazu bereit, den Benno-Niggemeyer-Weg zu schließen.“
Appell an die Islamische Republik
Von der iranischen Regierung liegt hierzu noch keine Stellungnahme vor. Um so freimütiger hat sich Elmar Brüggeling, 67, der Chef der Bürgerinitiative „Schließung des Benno-Niggemeyer-Wegs für den Frieden e. V.“, in einer Pressemitteilung geäußert: „Es ist wichtig, dass die Straße von Hormus offen bleibt. Die Schließung des Benno-Niggemeyer-Wegs könnte die Menschheit hingegen leichter verkraften, auch wenn das für uns hier natürlich einige Beschwernisse mit sich brächte. Wir appellieren daher an die Regierung der Islamischen Republik Iran, unseren Vorschlag anzunehmen und im Gegenzug auf die Schließung der Straße von Hormus zu verzichten!“
Brüggeling und manche seiner Nachbarn knüpfen damit an eine ehrwürdige Tradition an: 1979 hatten die Bewohner dieser Straße eine Resolution verabschiedet, die es sämtlichen Regierungen der Welt untersagte, Atomwaffen durch den Benno-Niggemeyer-Weg zu transportieren, und in den achtziger Jahren haben pazifistische Jugendliche dort insgesamt 4.675 Stunden lang für den Frieden geschwiegen.
Man könnte nun einwenden, dass der Benno-Niggemeyer-Weg militärstrategisch keineswegs so bedeutsam sei wie die Straße von Hormus. Brüggeling sagt: „Weit gefehlt! Während des Dreißigjährigen Krieges ging es hier drunter und drüber. Speziell die Ecke Benno-Niggemeyer-Weg/Zeche-Kaiser-Friedrich-Straße diente damals als Umschlagplatz für Waffenhändler! Und das weiß man auch in Teheran …“
Gesperrter Weg gleich humanitärer Katastrophe
Schmackhaft machen möchte Brüggeling den Mullahs sein Angebot unter anderem durch den Hinweis auf die hohe Zahl von Lebensmitteltransporten, die unter normalen Umständen im Benno-Niggemeyer-Weg stattfänden: „Da sind ständig Pizza-Fritzen von Lieferando, Wolt und so unterwegs, weil die vielen Boomer, die den Benno-Niggemeyer-Weg bevölkern, sage ich jetzt mal, ein wenig in die Jahre gekommen sind und sich kaum noch eigenhändig bekochen können. In other words: Wenn wir den Benno-Niggemeyer-Weg sperren – aus freien Stücken, wie gesagt! –, dann droht hier eine echte humanitäre Katastrophe. Aber das würden wir auf uns nehmen, wenn es dem Frieden dient! Wir haben hier schon ganz andere Opfer gebracht. Beispielsweise mit dem Canceln aller Karnevalsfeiern während des Zweiten Golfkriegs im Jahr 1990.“
Inzwischen folgen einige deutsche Friedensfreunde dem Dortmunder Beispiel. In der emsländischen Gemeinde Rütenbrock ist man mehrheitlich dazu bereit, die am Haren-Rütenbrock-Kanal gelegene Ziegeleistraße zu schließen, in Hannover steht die Sperrung der Baumstraße in der Südstadt zur Diskussion, und in der hessischen Stadt Bad Vilbel ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Straße Am Hohlgraben geschlossen wird.
Im Benno-Niggemeyer-Weg will man unterdessen schon proaktiv handeln: Um ein Signal des Friedens auszusenden, werden Brüggeling und drei seiner Nachbarn den Benno-Niggemeyer-Weg morgen früh mit Sandsäcken unpassierbar machen. Und Brüggeling denkt bereits weiter: „Wenn dem Iran das nicht genügen sollte, könnten wir noch einen draufsetzen und den kompletten Benno-Niggemeyer-Weg von der Wasser- und der Stromversorgung abschneiden. Im äußersten Fall wäre es auch möglich, hier einfach alles niederzubrennen. Das wäre dann mal wirklich ein Fanal! Aber wir warten jetzt erst mal ab, wie Teheran auf unsere Friedensbotschaft reagiert.“
Noch offene juristische Fragen
Zur Stunde ist noch nicht bekannt, was der sozialdemokratische Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal von der Sache hält. Auch viele juristische Fragen sind offen: Ist es erlaubt, dass Anwohner ihre Straße sperren, wenn der Weltfrieden auf dem Spiel steht? Dürfen sie sich selbst dem Hungertod ausliefern? Und: Wäre es legal, wenn sie dazu übergingen, ihre eigenen Häuser abzufackeln?
Der Sand in den Säcken, mit denen der Benno-Niggemeyer-Weg morgen abgeriegelt werden soll, stammt übrigens aus der Wüste Dascht-e Kawir im iranischen Hochland. Auch damit möchte Brüggeling ein Zeichen der Völkerfreundschaft setzen. „Wir hätten selbstverständlich billigen Füllsand aus der Region nehmen können“, sagt er, während eifrige Helfer die ersten Säcke in seinem Vorgarten abladen. „Aus ökologischer Sicht wäre das zweifellos vernünftig gewesen. In diesem speziellen Fall sollte es aber der iranische Schwermineralsand sein, der sich durch einen hohen Gehalt an Titan, Zirkonium, Wolfram, Thorium und Turmalin auszeichnet, denn wir wollen dem iranischen Volk ja gerade mitteilen: ‚Hey, Leute – wir verwenden euren Sand, um euch zu zeigen, dass wir als Menschheit irgendwie alle im selben Boot sitzen!‘ “
Problematisch ist allerdings der Umstand, dass Brüggeling den iranischen Wüstensand von einem libanesischen Zwischenhändler bezogen hat, der zurzeit in Beirut vor Gericht steht, weil er für den turkmenischen Geheimdienst spioniert haben soll. Nach Informationen von Insidern sind dem Sand außerdem Korallenreste saudi-arabischen Ursprungs beigemischt worden. Gegenüber dem deutschen Botschafter in Riad hat der König Salman bin Abdulaziz Al Saud das als „Diebstahl“ und sogar als „Kriegsgrund“ bezeichnet, und er hat verlangt, die Korallenreste auszusieben und sie seinem Land zurückzuerstatten, bevor der Benno-Niggemeyer-Weg mit den Sandsäcken gesperrt wird.
Brüggeling wiegelt ab: „Da wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das saudische Königshaus will sich nur wichtigmachen, und der sogenannte Zwischenhändler aus dem Libanon ist ein ganz kleines Licht. “
Es wird sich zeigen, ob der Frieden durch Elmar Brüggelings Unternehmungsgeist sicherer geworden ist. Und den Bewohnern des Benno-Niggemeyer-Wegs seien von hier aus gute Nerven gewünscht.
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