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Die WahrheitDer Tod der Hexenhäsin

Irland kann Folklore, das wissen nicht nur grüne Trolls. Die irische Sammlung an märchenhaftem Stoff umfasst allein 700.000 Seiten.

E s ist weithin bekannt, dass sich Hexen in Hasen verwandeln können. Jedenfalls in Irland. Ei­ne Paddy Brady aus der Grafschaft Cavan kennt solch eine Hexen­häsin: „Ihr Name war Frau ­Hutchington, eine Protestantin, die in Ryeforth lebte“, erzählt sie. „Sie ging zu meinem Großvater, Bennie Goldrick, und saugte die Milch aus dem Euter seiner Kuh. Großvater ertappte sie. Er holte sein Gewehr, lud es mit einer Sixpence-Münze, schoss auf die Häsin und traf sie am Kopf. Sie rannte weg, und er rannte ihr nach bis zu ihrem Haus, wo er die Frau mit blutendem Kopf im Bett fand. Er nahm ihr das Versprechen ab, so etwas nie wieder zu tun, und sie tat es auch nicht.“ Die Silbermünze wurde verwendet, weil nur eine Silberkugel die Kraft hatte, einen Hexenhasen zu töten.

Das ist eine Weile her, Hexenhasen sind heute eher selten. Damit die Informationen über diese erstaunlichen Wesen nicht verloren gehen, hat die Unesco die irische Nationale Folkloresammlung in das Register für das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Dieses Register enthält 427 Sammlungen aus der ganzen Welt, darunter die Magna Charta, „Das Tagebuch der Anne Frank“ und den Wandteppich von Bayeux.

Die irische Sammlung umfasst 700.000 Seiten, die zwischen 1937 und 1939 in ganz Irland gesammelt wurden. Diese Masse an Material wurde von mehr als 100.000 Kindern zusammengetragen, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg die älteste Person in ihrer Gemeinde aufsuchen sollten, um die dunkelsten und seltsamsten tradi­tio­nellen Geheimnisse und Bräuche aufzuspüren, die dann in 1.128 Bänden gesammelt wurden.

So weiß man nun, wie es den Feen erging. Es gibt 367 Einträge, die sich mit der Banshee, der Todesfee, befassen und detaillierte Angaben enthalten, wo sie nachts zu trinken und bei welchen Familien sie aufzutauchen pflegte. Man erfährt viel über die verbreiteten Arten von Kobolden, wobei es sich bei der lokalen Variante in der Grafschaft Mayo um „einen kleinen Mann mit grünem Mantel und rotem Hut“ handelt, der meist unter einem Weißdornbusch Schuhe repariert. Die Beschreibungen sind sachlich, beinahe trocken, als ob es sich um Augenzeugenberichte handelte.

Beziehungen zu Meerjungfrauen

Man erfährt auch die Namen von Leuten, die Gold zu stehlen versuchten, und kann nachlesen, wer Beziehungen zu Meerjungfrauen hatte, wobei die Meereswesen entweder als aufdringlich oder als Opfer heimtückischer Menschen beschrieben werden.

Neben den Fakten über diese seltsamen Wesen enthält die Sammlung jede Menge Informationen über längst vergessene ethnomedizinische Heilmittel. Pharmaunternehmen durchforsten deshalb die Aufzeichnungen, um kostenlos an Rezepte für neue Medikamente zu gelangen, die sie dann überteuert verhökern können. Möge die Hexenhäsin ihnen in die Profitsuppe spucken.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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