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Die WahrheitHoppelgott mit Knusperohren

In der geerbten Gespenstkirche gibt es nicht nur Ostereier und Oblaten. Eine traumhaft plüschige Geschichte zum Osterfest.

Bild: Ulrike Haseloff

„Hä???“, schoss es mir durch den Kopf, denn ich hatte zu Beginn der mysteriösen Karwoche von irgendwem erfahren, dass ich kurz vor Ostern die Gespenstkirche geerbt hatte. Wieso das denn? Und wie zur Hölle betreibt man eine Kirche? Was mich am meisten nervte, war, dass die Gespenstkirche – laut einiger Meinungen – die zweithässlichste Kirche der Welt sei. Ich beschloss, mir mein Erbe trotzdem mal anzusehen.

Es war genau, wie ich es erwartet hatte. Die Kirchenglocke des Turmes ging drei Stunden nach, und ich dachte so bei mir: „Na, klasse! Damit fängt das Geraffel ja schon an: Punkt eins auf der To-do-Liste: Kirchenglocke zum Uhrmacher bringen! Wahrscheinlich zu Fuß!“

Im Innern war es kalt und voller Kirchenbänke. Ich musste mich ein wenig überwinden, den Altar zu erklettern, denn eine gute Portion Respekt vor Gott, dem Herrn, hatte ich mir bewahrt. Aber dann packte mich doch die Neugier – und ein gewisser Besitzerstolz. Ich wollte unbedingt die Geheimnisse meiner Kirche erkunden.

Was verbarg sich zum Beispiel hinter den kleinen Türen, aus denen unentwegt eiförmige Priester herauskamen und wieder hineingingen? Da die Gespenstkirche jetzt mein ungewolltes Eigentum war, ging ich in eine der Kammern hinein, bücken musste ich mich dabei allerdings! Dort war es recht staubig, und ich dachte: „Punkt zwei auf der Liste: Reinemachekräfte holen!“

Hasenmuster

In den Regalen lagen weiße Kutten und rote Unterkutten mit lustigen Hasenmustern. Ich machte mir abermals bewusst, dass das jetzt alles mir gehörte, zog kichernd eines der Gewänder an und fühlte mich sofort heilig.

Neu gewandet kroch ich aus dem Nebenraum wieder in den Hauptraum und sah mich um. Haargenau zwei Beichtstühle säumten die hölzernen Sitz- und Kniebänke, und ich konnte nicht umhin, mich in einen davon, nämlich den linken, hineinzusetzen. Und zwar in das Stübchen, das eigentlich dem Priester vorbehalten ist. Der zog wutschnaubend ab. Ich fühlte mich rebellisch und mächtig. Und ich bekam Lust auf Eierlikör! Wo zum Teufel war dieser heiße Scheiß versteckt? Und wie ging das eigentlich mit dem Eirauch? Davon hätte ich auch gern etwas geschnuppert.

Es war offensichtlich gar nicht so einfach, eine Kirche zu betreiben. Gläubige wollte ich nicht hereinlassen, lieber sollte das große Haus mir allein gehören. Gläubiger, die nach Klingelbeutel fahnden würden, wollte ich noch weniger als Gläubige, deshalb verrammelte ich vorsorglich alle Pforten mit Schränken voller christlicher Häschen-Kinderbücher. Geschafft!

Egg Liquor

Jetzt drängte sich wieder das Thema Eierlikör auf, und Hunger auf Ostereier und Oblaten bekam ich auch. Hinter dem Altar, ein paar Stufen höher, war ein goldenes Dingsbums. Zielstrebig schritt ich darauf zu, und – hurra! – drinnen im goldenen Dingsbums standen eine Flasche Eierlikör und eine Schachtel mit Esspapier. Sonstige Schleckereien lagen direkt daneben. Ich stieg in den Beichtstuhl auf der rechten Seite, verscheuchte den dortigen Priester und fand dort eine Fernbedienung.

Nachdem ich mich gestärkt hatte, probierte ich die Fernbedienung aus. Da ereilte mich der Schock meines Lebens: Meine Kirche erstrahlte plötzlich in gleißendem Licht, die riesige Orgel auf dem Orgelboden, die ich zuvor noch gar nicht bemerkt hatte, spielte die Melodie „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Das erschien mir irgendwie unpassend, und ich drückte wie verrückt auf der Fernbedienung herum. Dann erscholl „Stille Nacht, heilige Nacht“, aber das erschien mir ebenfalls völlig fehl am Platz. Ich musste wirklich noch lernen, meine Kirche korrekt zu betreiben. Schließlich fand ich auf der Fernbedienung endlich das Lied „Christ ist erstanden“. Nun wurde ich müde, die Anstrengungen des Tages hatten mich zermürbt.

Ich kuschelte mich in mein plüschiges Gewand und schlief irgendwo in dem Gotteshaus ein. Als ich wieder hochschreckte, nachdem ich kaum drei Stunden geschlafen hatte, stürmte eine Horde von Gläubigen herein, die „Frohe Ostern!“ schrien, Nougateier umher warfen und immerzu „Der Friede sei mir dir“ krähten.

Offensichtlich hatte ich versäumt, den Nebenzugang zu meiner Kirche zu verrammeln. Heilige Scheiße, was jetzt? Aber Gott sei Dank war das abermals nur ein böser Traum. Gemächlich wälzte ich mich wieder in meinen Gewändern herum und dachte so bei mir: „Wird schon werden.“

Plötzlich hörte ich ein Knirschen. Ein Mann mit übergroßen Ohren hatte einfach meine Pforten-Verrammelung durchbrochen. Er hielt mir eine Visitenkarte unter die verschlafene Nase und sagte in einem übertrieben formellen Ton: „Guten Morgen, Frau Gespenstkirche. Ich bin Gott.“

Gott hat kein Zuhause

Ich starrte ihn verwirrt an und bat ihn: „Würden Sie bitte so freundlich sein, mir kurz zu erklären, was Sie hier in meinem Haus zu suchen haben?“ Er räusperte sich verlegen und erklärte, das heilige Gespenst sei ihm entwischt, und er vermute, dass es hier irgendwo herumhoppele. Außerdem sei gerade Ostern oder Pfingsten oder was auch immer, und er wolle in meinem Haus einfach nur kurz verschnaufen.

Ich versprach Gott, ihn zu informieren, wenn das heilige Gespenst mir über den Weg hoppeln oder huschen sollte, bot ihm einen Lagerplatz an und nach weniger als drei Tagen zog mein geheimnisvoller Gast aufgeräumt wieder ab. Ich durchsuchte meine Kirche ziemlich gründlich und fand ein großes und wunderschönes Silberfischchen mit glänzenden Augen und zart vibrierenden Fühlern, das mich liebevoll ansah.

Ich rief Gott an und fragte ihn, ob das Silberfischchen wohl der vermisste Kamerad sei, also das heilige Gespenst. Eigentlich klänge die Beschreibung nicht nach dem vermissten Gespenst, entgegnete Gott, aber dies schiene doch recht niedlich zu sein, und er nähme es mit Freuden. Und so kommt diese Ostergeschichte doch noch zu einem wundervollen Ende. Hin und wieder treffen wir uns seitdem alle auf ein Tässchen Eierlikör im Hochamt und scherzen. Amen!

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