Die Wahrheit: Fleischklops-Bann in Francoforte
Die Italo-Woche der Wahrheit: Das Komitee für unitalienische Essensumtriebe schlägt in der Main-Metropole zu und schickt die Soßa Nostra herum.
Als Fredi Maurer am Vorabend der offiziellen Buchmesseneröffnung zu seinem Snackstand geht, um noch einmal nach dem Rechten zu sehen, traut er seinen Augen nicht: „Cazzo! Deutscher go home!“ steht in großen Lettern auf der Frontseite, handgespritzt mit hochwertigem Modena-Balsamico. „Das geht doch garantiert gegen mich!“, empört sich der 44-jährige Unternehmer aus Groß-Gerau, nachdem er die dreisprachige Hassbotschaft mit Hilfe von Google übersetzt hat. „Nach Hause gehen? Wo soll ich denn hin? Ich wohne in Deutschland und verköstige das Messepublikum seit zehn Jahren mit abwechselnden Kreationen.“
Zur diesjährigen Buchmesse serviert Fredi Maurer, passend zum Gastland Italien, moderne Interpretationen italienischer Klassiker. Und genau das scheint einigen Besuchern aus dem Süden nicht zu passen. „Dabei meine ich es doch nur gut, möchte kulinarische Brücken bauen“, klagt der selbstständige Standbetreuer. „Ich dachte, meine Spirelli mit Sauce Hollandaise oder die Wurstsalat-Focaccios werden echte Renner.“
Die italienische Seele ist im Jahr 2024 empfindlich wie nie, was gastronomische Errungenschaften und Traditionen angeht. Beispiel Bologna. Nach über 40 Jahren hat die Akademie für Kochkunst das Rezept für Ragù alla bolognese geändert und jeden, der weiterhin die alte Version kocht, zur persona non granita erklärt. Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse ließ die Regierung in Rom verlautbaren, man werde nicht dulden, dass Kochbücher ausgestellt werden, in denen das nunmehr ungültige Bolognese-Rezept steht.
Furchteinflößende Inspektorentrupps, im hiesigen Volksmund „Soßa Nostra“ genannt, gehören infolgedessen zum täglichen Bild auf der Messe, und jeden Abend heißt es auf der Agora: „Wir übergeben dem Steinofen die Schriften von Jamie Oliver!“
Sheriffs mit Messer
Auch in belletristische Neuerscheinungen werfen die staatlichen Buch-Sheriffs argwöhnische Blicke, suchen nach Stellen, in denen vermeintliche Affronts wie Mac’n’Cheese oder Spaghetti mit Fleischbällchen verzehrt werden. Im Beanstandungsfall ziehen sie ein Klappmesser aus der Lederjacke und entfernen damit die fraglichen Seiten.
Besonders oft trifft es Romane aus den USA, mit denen Italien ohnehin noch ein Chicken Parmigiana zu rupfen hat: Als der Konzern Heinz kürzlich Carbonara in Dosen auf den Markt brachte, führte das beinahe zu diplomatischen Verstimmungen zwischen den beiden Ländern.
Die Angst geht um in Frankfurt. Um Repressionen zu vermeiden, ließ Bürgermeister Mike Josef gestern ein Büdchen vor Halle 8 sprengen, das Fusions-Fastfood wie „Spirelli mit TexMex-Ketchup“ oder „Pommes-Calzone“ anpries.
Sprache mit Höhenflügen
Für Gesine Meintz ist das Einknicken vor Küchenfaschismus. „Wir Caterer leiden am meisten unter diesen patriotischen Höhenflügen“, klagt die nebenberufliche Barista, die sich auf der Messe lediglich etwas für ihr Studium dazuverdienen wollte. „Bis morgen Früh muss ich die Karte an meinem Getränkewagen aktualisieren, denn gerade kam die neue Sprachregelung rein: Das Wort ‚Espresso‘ ist ausnahmslos durch ‚Caffè‘ zu ersetzen, während unser normaler Filterkaffee im Pott nur noch ‚Barbárico‘ heißen darf.“
Sogar Bühnen und Podien haben Melonis Schergen im Visier. Moderatorin Bärbel Schäfer sorgt sich: „Selbstverständlich biete ich meinen Talkgästen stets etwas zu trinken an, doch jetzt muss ich darauf achten, dass sie keinen Cappuccino ordern, wenn es nach 12 Uhr ist. Oder vor 12 Uhr? O Gott, wer kann mir helfen?“
Doch es regt sich erster Widerstand. „‚When in Rome, do as the Romans do‘, heißt es. Wir drehen den Spieß um: Wer bei uns ist beziehungsweise isst, soll sich gefälligst anpassen“, äußert sich ein anonymer Gastwirt. „Ein Restaurant in Italien verhökert Pizza Hawaii für 100 Euro, extra für unkultivierte Ausländer. Tja, in meinen Geschäften belegen wir ab sofort Schlonz-Risotto und Vitello Tonnato mit Straftaxen. Sooo toll sind diese Gerichte nämlich gar nicht. Und wer Miesmuscheln fressen will, soll die gefälligst so bestellen! Das Wort Cozze ist bei mir tabu.“
Als besonderen Seitenhieb möchte Standbetreiber Fredi Maurer ab morgen seine Ahle Worscht messe-exklusiv als „Salami alla Mussolini“ vermarkten. „Sie wissen schon: gut abgehangen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann