Die Wahrheit: Freiheit für die Hundekacke
Nach der gelben Autowende: Neue grandiose Visionen der FDP aus dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Ein Generalsekretär im Ausnahmezustand.
„Manöverkritik! Wie kam das an mit der Rückkehr der Autos in die Innenstädte?“ Schwungvoll eröffnet der Generalsekretär die Sitzung der FDP-Task-Force „Fünfkommanull“ im Berliner Hans-Dietrich-Genscher-Haus.
Ein junger Mann in einem schreiend gelben Pullunder ergreift sofort das Wort – erkennbar nervös und übermotiviert. „Ich habe die Pressestimmen ausgewertet und inkognito den ADAC angerufen und möchte sagen: Ver-hee-rend! Niemand findet das gut. Wirklich niemand. Nicht mal in Bayern.“
Der „Geni“, wie Bijan Djir-Sarai hier von allen genannt wird, schaut entgeistert und will sich gerade für einen seiner gefürchteten Hauptquartier-Wutanfälle aufblasen. Aber seine Assistentin Nicola legt ihm kurz die Hand auf den zuckenden Arm und sagt: „Ich begrüße unseren Praktikanten Malte in dieser Runde. Heute zum ersten Mal dabei.“
Kurzes, routiniertes Applausgeklopfe der zehnköpfigen Runde auf dem 20.000-Euro-Designertisch. Der Geni fährt sich wieder runter: „Noch mal für alle und grundsätzlich: Wir suchen hier nicht nach sinnvollen Vorschlägen. Was wir hier tun, ist vertraulich! Wir harken die notwendigen Stimmen zusammen, um in einem Jahr irgendwie über diese verfickte Fünfprozenthürde zu kommen. Nur darum geht es hier. Wir brauchen aufmerksamkeitsstarke Forderungen, die uns Menschen aus allen Lagern und Schichten zutreiben. Außer von den grün-roten Bolschewisten. Umgesetzt werden diese Forderungen natürlich niemals – das wäre ja der Horror.“ Ein kurzes, wissendes Lachen erfüllt für eine Sekunde den Raum.
Erfolg mit Geisterfahrt
„Unter diesem Aspekt war die verkehrspolitische Geisterfahrt ein Erfolg. Haben alle drüber geredet. Nur darum geht es. Also: Wo können wir noch irgendwas abgreifen?“
Ein dynamischer Endfünfziger meldet sich: „Wenn ich da mal gleich einhaken darf, Bijan: Die AfD-Klientel erreichen wir nicht, solange wir gendern. Also: Kein Gendergetue! Außerdem werden wir Biosiegel und den Nutri-Score wieder abschaffen. Und Fleisch wird steuerlich bessergestellt.“
Der Geni wiegt den Kopf: „Ja, ja, schon klar, aber kommt Leute, da geht noch mehr!“
„Wiederherstellung der Hundekackefreiheit auf Bürgersteigen? Weg mit den Beuteln?“
„Sehr schön! Mehr davon!“
„Ich hab was für diese Lebensverlängerer: Eine Steuergutschrift ab dem 100. Lebensjahr! Und damit das nicht zu sehr ins Geld geht: Aufhebung aller Rauchverbote!“
„Das ist stark! Aber bitte nicht hier und heute, ja? Ihr wisst ja, meine Bronchien …“
„Das Pfandsystem muss weg! Und die Mülltrennung! Einbahnstraßen und Abbiegeverbote sind Dirigismus. Alles weg! Und wir brauchen wieder bleihaltiges Benzin!“
„Frauen mit Penis werden umerzogen!“
„Ja! Jetzt habt Ihr verstanden, wohin ich will! Ich hab auch noch einen: Brillenträger zu schlagen ist künftig straffrei. Entschuldige, Günther, das geht natürlich nicht gegen dich.“
Plumpsklos in Schulen
Günther winkt gelassen ab und schlägt vor: „In Schulen wieder Plumpsklos, Kopfnoten und Körperstrafen.“
Nicola unterbricht kurz: „Malte, ist Ihnen nicht gut? Sie sind so blass plötzlich. Immer dran denken: Nichts davon wollen wir wirklich. Und nichts davon wird jemals umgesetzt. Aber auch Ihr Gehalt hängt davon ab, dass wir wieder in den Bundest …“ Nicola wird von einem Zischen unterbrochen. „Ach, sorry, schlechtes Beispiel. Sie kriegen ja gar nix.“
Malte meldet sich schüchtern: „Bei der Europawahl haben die beiden Tierschutzparteien und die ÖDP zusammen eine Million Stimmen geholt. Wenn man denen was bietet? Zum Beispiel: 20 Prozent auf Tiernahrung?“
„Hmmm … auf Staatskosten? Das wäre schwierig zu machen mit dem Chef.“
„Und wenn wir ein Sternchen dranmachen und ‚aufkommensneutral‘ dazuschreiben? Das sieht niemand, und wenn doch, versteht es keiner. Aber die Forderung steht im Programm.“
„Gekauft! Das machen wir!“
Günther meldet sich: „A propos Tiere: Ich schlage vor, dass es straffrei bleibt, wenn man geschützte Tiere ‚aus Versehen‘ schießt oder überfährt.“
Belustigtes Klopfen. Malte fragt zögernd. „Aber ist das nicht ein Widerspruch zu dem von eben? Ich …“ Weiter kommt er nicht. Der Geni ist aufgesprungen und hat seinen Stuhl gegen die Wand geschleudert. Er ist außer sich und stürmt mit den Worten „Fünf Minuten Pause!“ hinaus.
Nicola schaut Malte bedröppelt an. „Das war mein Fehler. Ich hätte Ihnen sagen müssen, dass das W-Wort hier absolut tabu ist. Mit dem Ziel der Widerspruchsfreiheit kommen wir niemals in den Bundestag.“
Der Geni kehrt zurück. Man merkt ihm nichts mehr an. Strahlend verkündet er die ultimative FDP-Idee: „Twix heißt wieder Raider.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid