Die Wahrheit: Vier minus in Monströs-Sein
Das Zitiermonster kennt sämtliche Zitate dieser Welt. Aber kommt es auch in ebendieser unserer Welt zurecht? Oder trifft es gar auf Gleichgesinnte?
Als das Zitiermonster eines Morgens aus seinen süßen Träumen erwachte, fühlte es sich im Bett plötzlich seltsam. Wieso zum Teufel musste es dauernd diesem schrecklichen Drang nachgeben, so viel zu zitieren? Bis auf alle Werke sämtlicher Schriftsteller, Dichter und Denker sowie alle Filme und Fernsehserien der Welt, alle jemals gedruckten Kalender und je seit Anbeginn der Welt komponierten Musikstücke hatte es nie irgendetwas gelesen, gesehen oder gehört. Es konnte das alles allerdings auch nicht auseinanderhalten.
In der Monsterschule wurde das Zitiermonster gehänselt, weil es im Fach „Monströs-Sein“ ständig bei Vier minus stand und in „Zitieren“ bei Drei minus. Die Klassenkameraden konnten auf Kommando zur Decke hinan steigen, sich von niedlichen Pudeln innerhalb von Sekunden in entsetzliche Seeschlangen und alles verschlingende Riesenspinnen oder feuerspuckende Nilpferde verwandeln oder Schnaps machen und kleinen Kindern das Gruseln lehren. Außerdem waren sie allesamt gemein und bösartig, was für Monster zwingende Voraussetzung zur Berufsausübung ist. Das Zitiermonster hingegen galt als lieb, aber doof, was seinem Ansehen nicht unbedingt dienlich war. Deshalb wurde es hochkantig von der Schule geschmissen.
Doch in der Welt da draußen hatte es bald erhebliche Probleme, weil es nur über durcheinandergewürfelte Zitate kommunizieren konnte. Seine wenigen Gesprächspartner verstanden kein Wort und hielten das Zitiermonster für komplett bescheuert. Solche Gespräche, die meist in dunklen Spelunken in zwielichtigen Hafengegenden nach dem vierten Starkbier stattfanden, ähnelten sich deshalb jedes Mal:
Gesprächspartner: „Hallo!“ Zitiermonster: „Ich grüße dich, du einzige Pistole! In dir verehr ich Lutz und Wutz.“ – „Ja, danke. Wie war dein Tag?“ – „Jeder Tag ist eine neue Chance, das zu tun, was ein anderer möchte.“ – „Alles klar, ich muss dann aber auch mal weiter. Bin noch verabredet.“ – „Reisende soll man nicht aufhalten, aber wenn jemand eine Reise tut, dann soll er mich mal am Arsche lecken. Und geh dort lang, denn durch diese hohle Gasse muss er kommen. Es führt kein andrer Weg nach Buxtehude.“ – „Ich bin nicht in Buxtehude verabredet, sondern in Wolfenbüttel.“ – „Das ist nur ein kleiner Schritt für dich, aber ein großer Schritt für Wolfenbüttel.“ – „Ja, okay, bis irgendwann dann mal.“ – „Irgendwie fängt irgendwann irgendwo der Horizont an!“ – „Du hast echt nicht alle Latten am Zaun, oder?“ – „Warum siehst du den Zaunpfahl in der Nase deiner Schwester, aber nicht den Splitter in deinem eigenen Hintern?“ – „Ich hau dir gleich eine rein!“ – „Durch Prügel allein ist das nicht zu korrigieren.“ – „Das werden wir ja sehen!“ – „Man sieht nur mit dem Herzen gut, der Zipferlak bleibt für die Augen unsichtbar.“
Herrliche Kneipenschlägereien
Und schon bald waren mit schöner Regelmäßigkeit die herrlichsten Kneipenschlägereien im Gange, die das Zitiermonster stets verlor. Im Krankenhaus war es allerdings nicht mehr gern gesehen, weil es den hübschen Krankenschwestern auf deren Fragen, wie es uns denn heute Morgen gehe, Wunderliches antwortete: „Schöne Schwester, darf ich wagen, meine Bettpfanne zum Rausbringen ihr anzutragen?“ Auf Dauer nervte das alle.
Als dem Zitiermonster mal das Geld ausging, weil kein vernünftiger Arbeitgeber es einstellen wollte, beschloss es, sich bei der AOK zu bewerben. Es bekam sogar eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Aufgeregt schmiss es sich in Rüschenröcke, Mittwochsröcke, karierte Hosen, graue Säcke, Westen mit ganz langen Laschen, Gummistiefel und Gamaschen, klemmte sich auch noch eine Großpackung Klopapier unter den linken Arm und machte sich auf den Weg zum potenziellen neuen Arbeitgeber.
Das AOK-Haus war riesig. „Ein Vorstellungsgespräch ist ein Vorstellungsgespräch ist ein Vorstellungsgespräch“, schoss es dem Zitiermonster durch den Kopf, während es auf der Suche nach dem Raum A38 war, wo das Vorstellungsgespräch stattfinden sollte. Endlich hatte es seinen künftigen Vorgesetzten gefunden und sprach: „Ich bin allhier schon lange …“ – „Ja, ja, blabla“, unterbrach ihn der Vorgesetzte, „kürzen wir dieses peinliche Geplänkel doch einfach ab. Ich zahle ihnen 1.200 Euro im Monat. Einverstanden?“
Das Zitiermonster musste bei diesem tollen Angebot nicht lange nachdenken, hatte aber noch eine Bedingung: „Und freilich würde mir behagen, 300 Tage Urlaub auch und Weihnachtsgeld an schönen Sommerfeiertagen.“ Der Vorgesetzte zögerte nur kurz, bis er heiser krächzend entgegnete: „Ich mache dir jetzt ein Angebot, das du unbedingt annehmen musst: Lauf, Rapunzel, lauf!“
Da das Zitiermonster aber nicht „Rapunzel“ hieß, sondern „Heinz, mir graust vor dir, James Heinz, mir graust vor dir“, schüttelte es nur den Kopf und blieb sitzen.
Verschwiegenes Vorstellungsgespräch
Lange saßen die beiden Verhandlungspartner schweigend so vor sich hin, bis der Vorgesetzte endlich wieder seine Stimme erhob: „Kriton“, so sprach er, „Kriton, wir sind dem Wackeldackel einen Hahn schuldig! Ich weiß, dass ich alles weiß.“ Weil das Zitiermonster genau verstand, was mit diesem Rätselwort gemeint war, antwortete es geistesgegenwärtig und schlagfertig: „Genau. Der Oktopus schnackselt halt gern, und ich bin ein Nottulner.“
Da erhellte sich des Vorgesetzten Gesicht und leuchtete wie eine Fackel, die man gewaltsam unter einen Schemel stellen sollte. So unterhielten sich das Zitiermonster und sein neuer Freund erregt die ganze Nacht hindurch, bis irgendwo ein Sack Mehl umfiel und sich Nachtigall und Lerche guten Morgen sagten.
Ein Arbeitsvertrag kam zwar nicht zustande, aber das Zitiermonster und der Vorgesetzte brannten zusammen durch und eröffneten eine Herren-Spion-Code-Sprachschule in Wuppertal. Und wenn sie nicht nach Kuba ausgewandert sind, dann schnackseln sie noch heute. Das schlägt ja wohl dem Fass eine Krone aus dem Zacken!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung