piwik no script img

Die WahrheitPalaver mit Palava

Eine neue App will den Insassen von Nordrhein-Westfalen auf den Sprach-Zahn fühlen. Was für ein herrliches Spielzeug für grandiosen Unfug.

E ine weltbeglückende Plansprache wie Esperanto, Schlumpf oder Volapük zu erfinden, erschien mir immer als reizvolle Idee. Ich bin aber viel zu faul, mich nach Feierabend hinzusetzen, um Vokabellisten zu erstellen und eine Grammatik auszutüfteln, damit kommende Generationen neben den Regeln ihrer Mutterzunge auch noch die einer Kunstsprache ignorieren können. Doch nun haben die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland eine Mitmach-App entwickelt, mit der sie ihren Landesvölkern genauer aufs Maul schauen wollen.

Das ist meine Chance, wenigstens dem Bundesland Nordrhein-Westfalen sprachlich meinen Stempel aufzudrücken, offenbar können sich Wortschöpfer hier uneingeschränkt austoben. „Über die aktuellen Umgangssprachen ist bisher wenig bekannt“, geben die Macher der „Palava“ genannten Anwendung zu. „Es fehlen umfangreiche Daten von den Sprecherinnen und Sprechern.“

Diese Daten sollen wir Rheinländer und Westfalen nun in unsere Smartphones sprechen. Doch die Fragen sind tückisch, Expertenwissen ist gefragt. „Wie beschreibst du einen Kuchen, der nicht ganz durchgebacken ist und innen noch etwas weich und feucht ist?“, fragt die App. „Medium rare“, lautet meine Antwort. Ich bin nicht so für Süßes. „Klitschig“, fällt mir endlich ein, aber die App ist schon beim nächsten Beispielsatz. „Mein Kollege ist klitschig“, loggt sie als Antwort ein. Warum nicht? Mir sind schon viele halbgare Typen begegnet.

Dann zeigt mir die App Bilder von Gegenständen oder Menschen, die ich benennen soll. So entscheide ich mich für „Sauerkathedrale“, weil die rheinische Sch-Lautvermeidung aus dem dargestellten Steinobst ohnehin eine „Sauerkirche“ machen würde. Ich möchte die NRW-Sprachpalette aber erweitern und nicht regionale Stereotype reproduzieren. Beim nächsten Bild scheint mir das gehobene „Straßenbegleitpfuhl“ passender als die ordinäre „Pfütze“.

„Kennst du ein anderes Wort für Zigarette?“, fragt die App. Ich kenne mehr Wörter für Kippen, Zichten und Fluppen als die Inuit für Schnee und habe nach jüngst erfolgter Nikotinabsage furchtbaren Schmacht. Nach einer halben Stunde habe ich alle Speicher mit sehnsuchtsvollen Synonymen vollgesülzt, die App stürzt ab und ich muss doch wieder eine rauchen.

Dabei gäbe es noch viele Menschheitsfragen, die mir weder Hochsprache noch Mundart beantworten konnten. Wie heißt der hintere Teil des Schlüssels? Schlüsselbart heißt es vorne. Aber hinten? Womöglich kann man einen der zahllosen Begriffe für das Brotendstück abziehen, die in der App ebenfalls abgefragt wurden. Ich schlage Schlüsselknust oder Schlüsselknifte vor. Es heißt „Räute“, behauptet das Netz. Der Schlüssel hat also fiese, ansteckende Räute am Hinterteil. Und so etwas fasst man nichtsahnend an!

Gleich morgen setze ich mich hin und schlumpfe mir eine Plansprache wenigstens für den Hausgebrauch zusammen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!