Die Wahrheit: Brutale Raubkunst
Neues aus Neuseeland: Nicht nur die Kunde von Rammstein ist nach down under vorgedrungen, auch andere Skelette aus Deutschland sind eingetroffen.
W elch ein Juni, was für Dramen! Unser Vertrauen in Institutionen wurde diesen Monat tief erschüttert. Eine davon ist die Ikone Edmund Hillary. Zum 70. Jubiläum seiner Mount-Everest-Besteigung im Jahr 1953 erreichte uns aus dem Himalaya die Hiobsbotschaft, dass er nicht wirklich der erste Mensch auf dem höchsten Berg der Welt gewesen war. Er kam oben nämlich zur gleichen Zeit an wie sein Sherpa Tenzing Norgay.
Norgays Sohn hat eine Aufzeichnung nach dem Gipfelsturm im Nachlass seines Vaters gefunden, die jetzt den Mythos des neuseeländischen Alleinhelden untergräbt. Das muss erst mal in die Seele der Sportnation sacken. Seitdem ist das patriotische Selbstbewusstsein jedoch noch härteren Prüfungen unterzogen worden. Denn auch der Ruf unseres Staatssenders Radio New Zealand (RNZ) ist schwer angeknackst.
Vorige Woche flog dort ein Digitalreporter auf, der fünf Jahre lang unbemerkt sein Unwesen trieb: Er baute in RNZ-Nachrichten von Reuters und BBC pro-russische Propaganda ein. Hunderte von Artikeln werden jetzt nachträglich geprüft. Eine interne Untersuchung läuft, der Senderchef entschuldigte sich, der Skandal ist groß. In all der Aufruhr ging eine andere Nachricht fast unter: Die Heimkehr deutscher Maori-Knochen.
Sechs tätowierte Schrumpfköpfe und 95 Skelettreste von Neuseelands Ureinwohnern wurden, von feierlichen Zeremonien begleitet, aus Stuttgart und Tübingen zurück an ihren Ursprungsort transportiert. Zuvor hatte es eine Rückführung indigener Knochen aus Wien gegeben. Die waren im 19. Jahrhundert die Beute des berüchtigten Grabplünderers Andreas Reischeck gewesen.
Außer historischer Raubkunst verbindet die Kiwis in diesen Tagen mit Europa noch eine andere Männersorte, die einst unbehelligt ihr Unwesen trieb und nun am Pranger steht: K.o.-Tropfen-Täter. Zwei bekannten Betreibern der Kneipe Mama Hooch in Christchurch, die Dutzende von Frauen in ihrer Bar betäubt, betatscht und vergewaltigt hatten, wurde endlich der Prozess gemacht. Die Gerüchte darum gab es schon seit einem Jahrzehnt.
Als in diesem Kontext die Enthüllungen über Rammstein auch nach Aotearoa schwappten, da lagen bei vielen Frauen die Nerven blank. Denn zu viel verbindet die Black Box unter der Bühne mit jener berüchtigten Bar in Christchurch. Rammstein-Fan war bisher auch Poetin Alex Bunny Anderson aus Wellington. „Ich wollte dich heiraten, trotz der Jahre zwischen uns“, schrieb sie sich ihre Zerrissenheit roh in einem Gedicht von der Seele.
Schon auf ihren Kopfhörern im Schulbus habe sie Lindemann stets dabei gehabt und mit ihm „in meiner Dunkelheit“ geschrien. All das Brutale, dachte sie, sei allein im Kopf zwischen ihm und ihr. Jetzt fiel ihr Idol. Hätte sie statt Fascho-Fantasien lieber Angst haben sollen? „I don’t want this to be true“, lautet Andersons letzte Zeile. „Nicht du, Till, nicht du.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht