Die Wahrheit: Sammelbecken für Mumien aller Art

Die deutschen Parteistiftungen, ihre politischen Aufgaben und gesellschaftlichen Absichten. Ein didaktisches Essay mit überzeugenden Argumenten.

Foto: Kittihawk

Die AfD-Politikerin und Stiftungsvorsitzende Erika Steinbach schlug nach Urteilsverkündung vor Erleichterung ein Mutterkreuz und lud zum inneren Reichsparteitag mit Hüpfburg ein. Nach dem jüngsten Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichts darf ihre parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung nicht mehr unbürokratisch im parlamentarischen Hinterzimmer gemobbt werden.

Die verhassten „Systemparteien“ hatten im Haushaltsausschuss bislang stets gegen eine Finanzierung der AfD-Klitsche gestimmt, während sie Mittel für andere parteinahe Stiftungen bewilligten. Dieser „Ausschluss per Haushaltsvermerk“ (taz) verletzte nach Ansicht der Verfassungsrichter die Chancengleichheit der politischen Akteure. Nun soll ein Gesetz klare Kriterien für die Förderungswürdigkeit parteinaher Stiftungen festlegen.

Doch worin bestehen überhaupt Ziele und Aufgaben der Stiftungen, die den politischen Ideen ihrer jeweiligen Namensgeber von Konrad Adenauer bis Rosa Luxemburg verpflichtet sein sollen?

Genau wie die dazugehörigen Parteien verteilen die Stiftungen hauptsächlich Kugelschreiber, die eine demokratische Teilhabe überhaupt erst ermöglichen. Daneben werden die Organisationen als Überlaufbecken im politischen Gossengeschäft gebraucht. Vermehren sich die Kader einer Partei über verfügbare Listenplätze und Direktmandate hinaus, werden überflüssige Funktionäre, die man nicht im EU-Parlament entsorgen kann, in Führungspositionen parteinaher Stiftungen abgeschoben.

Dort fallen sie noch schneller dem Alkohol anheim als im chronisch versoffenen Brüssel und vermasseln ihr Comeback in die Bundespolitik. Neben geschassten Funktionären werden in den Stiftungen überzählige Universitätsabsolventen beschäftigt, die im akademischen Betrieb nicht verwendet werden können. Diese wissenschaftlichen Mitarbeiter schreiben unablässig Papiere zu Themen, die vom Stiftungsvorsitzenden nach Lust und Laune diktiert werden. Anschließend werden die Papiere gelocht und ungelesen weggeschmissen. Neuerdings werden auch Podcasts mit unheilbar nuschelnden Wissenschaftlern produziert, die ungehört im digitalen Orkus versinken.

Einmal im Jahr wird ein hochdotierter Preis an einen politisch willfährigen Lyriker oder an einen Dissidenten mit spektakulärem Mundgeruch verliehen. Dazu gibt es schlecht temperierten Weißwein und Schnittchen mit welligem Aufschnitt.

Schnäppchen für das System

Die parteinahen Stiftungen sind also überlebenswichtig für das politische Ökosystem der Bundesrepublik und mit einem Förderbedarf von rund 660 Millionen Euro ein absolutes Schnäppchen. Besonders, wenn man bedenkt, welchen immensen Schaden gerade die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung von der Gesellschaft abwendet, indem sie die schlimmsten Geisterfahrer der Partei aus dem bundesweiten Verkehr zieht. Auf jeden Dobrindt, auf jeden Scheuer, der ihr durch die Maschen geht, kommt schließlich ein Dutzend noch verheerenderer CSU-Honoratioren mit Geltungsdrang, die in den Geschäftsstellen der Stiftung endgelagert werden, bevor sie Bundesministerien verstrahlen können.

Vermutlich dauert es nicht mehr lange, bis auch die aktuelle SPD-Katastrophenfee Franziska Giffey unter gutem Zureden an den Chefsessel der Friedrich-Ebert-Stiftung gefesselt wird. Noch dient die traditionsreiche Stiftung der Sozialdemokratie als Mausoleum für die gescheiterten Ambitionen ihres aktuellen Vorsitzenden Martin Schulz, dessen Mumifizierung jedoch als weitgehend abgeschlossen gilt.

Neben den staatlichen Zuwendungen haben die Stiftungen eigene Einnahmequellen erschlossen: Sowohl die Konrad-Adenauer- als auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung verkaufen Knöchelchen ihrer Maskottchen als Reliquien an Gläubige, die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung betreibt in einigen Schwellenländern neoliberale Erlebnisparks, in denen Kinder die Errungenschaften des Kapitalismus in 16-Stunden-Schichten spielerisch erfahren können, teilweise sogar unter Tage.

Die den Grünen zugeneigte Heinrich-Böll-Stiftung überfällt angeblich Postkutschen.

Doch nun drohen die Forderungen der Desiderius-Erasmus-Stiftung das friedliche Biotop der demokratischen Landschaftspflege zu vergiften. Eine böse Vorahnung macht sich im politischen Betrieb breit. Womöglich ist das Stiftungsziel der AfD-Konkurrenz gar nicht vorranging die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Kugelschreibern.

Womöglich verfolgt die völkische Partei ganz andere Motive, als einen weiteren Elefantenfriedhof für abgehalfterte Mandatsträger zu bauen. Womöglich lassen sich knallrechte Ideologen wie Karlheinz Weißmann und Karl Albrecht Schachtschneider, die beide im Stiftungskuratorium sitzen, gar nicht einfach so mit fett dotierten Posten domestizieren. Möglicherweise gibt sich Stiftungsvorstand Thore Stein, Mitglied einer rechtsradikalen Burschenschaft, nicht mit ein paar Stipendien für den verfassungsfeindlichen Nachwuchs zufrieden.

Beton im vorpolitischen Raum

Vermutlich benutzt die AfD-Stiftung die prognostizierten 70 Millionen Euro, um Geschichtsrevisionismus und rassistisches Gedankengut betonfest im vorpolitischen Raum zu verankern und an der Abschaffung der liberalen Demokratie zu arbeiten. Ganz so, wie es zahlreiche Kuratoren, Referenten und Unterstützer des Vereins in öffentlich zugänglichen Schriften und Aussagen immer wieder gefordert haben.

Bislang versucht die Stiftung mit dem Namen eines Rotterdamer Humanisten diesen schlimmen Verdacht zu zerstreuen, indem sie demonstrativ Hannah Arendt auf ihrer Webseite zitiert und wahllos Worthülsen wie „Völkerverständigung“ und „Toleranz“ benutzt. Offenbar hat diese recht simple Trickserei bislang ausgereicht, um die Gesetzgeber im Bundestag einzulullen, die erst vom Karlsruher Urteil aufgeschreckt wurden.

Wie immer das kommende Stiftungsgesetz aussehen mag, sollte es der AfD wenigstens untersagen, weiterhin einen unbescholtenen Renaissance-Gelehrten als Tarnkappe zu missbrauchen. Der Name Erasmus wird von der Öffentlichkeit ohnehin eher mit feiernden Studenten in Barcelona und Berlin als mit einer Aufforderung zum kritischen Denken verbunden. Deswegen muss der AfD-Stiftung von Amts wegen ein Namenspatron zugeteilt werden, der ihr Verhältnis zu einer liberalen und demokratischen Gesellschaft so beschreibt, dass es auch der historische Laie versteht. Weltanschaulich solide eingeordnet, kann viel besser entschieden werden, ob eine Horst-Wessel-Stiftung wirklich mit Steuergeld alimentiert werden muss.

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