Die Wahrheit: Es riecht nach Fußgängerzone
Das lebende Bein. Eine Fortsetzungs-Story der etwas anderen Art (Teil 7). Heute: Buntes Treiben während des Wartens auf den Flug nach Kalifornien …
Was bisher geschah: Bei Baxter, einem Ex-Geheimdienstler mit Goldfisch, taucht nach 35 Jahren Joane wieder auf, seine alte Liebe. Im Gepäck hat sie eine knifflige, ja blutrünstige Frage: „Was hat es mit dem lebenden Bein auf sich?“ Mörderisch spannende Nachforschungen nehmen ihren Lauf …
Vollkommen außer Atem erreichte Baxter das Amphitheater Xanten. Er war den ganzen Weg vom rundum restaurierten Regionalbahnbahnhof der Niederrheinperle gerannt, denn er hatte einen Riecher, und Riechern muss man vertrauen wie der Branntweinsteuerverordnung, sonst bringt man es nicht weiter im Leben als bis nach Bad Kleinen – alte GSG-9-Weisheit.
Es roch wie ein Schlehenlikörfurz von Tante Trude im Winde: Olfaktorisch schwach und ohne Konsequenzen. Denn Baxter fand das Amphitheater splitterklappstuhlleer vor. Verdutzt, verschwitzt und verbittert setzte er sich auf Platz 57 G im Mittelrang. Der war noch warm, aber das merkte Baxter nicht.
„Apropos Amphibientheater …“, jiechzte es da aus Baxters linker Jackentasche. „Noch fünf weitere Minuten ohne Wasser, und ich kann die Grünalgen von unten zählen.“ Koi, sein treuer Kumpan, sein ältester Mitarbeiter – den hatte er ja ganz vergessen! Unvermittelt machte sich Baxter auf dem Weg in den katakombenhaften Versorgungstrakt des Theaters, wo er im Herren-WC niederrheinisches Quellwasser aus dem Hahn in eine Plastiktüte füllte und seinem Goldfischfreund ein neues Leben schenkte.
Fortbildung mit Charme
Ein Karmagewinn, von dem Baxter umgehend profitierte, denn aus der Toilette stolperte er direkt in den Videoüberwachungsraum der Theater-Security, und hier machte es sich wieder bezahlt, dass er von den freiwilligen Fortbildungen in seiner Zeit beim MI5 nicht „Schirm“ oder „Melone“, sondern „Charme“ gewählt hatte. Im Handumdrehen hatte sich Baxter an die relevanten Aufnahmen gequatscht, und er brauchte keine zwei Blicke, um Joane, gekleidet nur in einen weißen Parka, und einen ihm Unbekannten im bunt gescheckten Trenchcoat zu entdecken, wie sie hektisch im dritten Akt von „Antigone“ den Mittelrang verließen.
Eine neue Spur! Baxter wechselte den Schauplatz des Geschehens. In der Xantener Fußgängerzone wurde er fündig und verfolgte eine halbe Stunde lang die schrille Parka-Trenchcoat-Kombi, nur um festzustellen, dass er die ganze Zeit einem Eisbärkostüm-Fetischisten und Jürgen von der Lippe hinterherspioniert hatte. Joane und ihr Begleiter hingegen waren längst über alle Berge.
Und wie kommt man über alle Berge? Na klar, mit einem Flugzeug!, durchfuhr es Baxter, und er setzte sich in Bewegung zum Flughafen Niederrhein in Weeze.
Dort standen Joane und ihr Begleiter bereits am Check-in-Schalter für einen Flug nach San Diego, Kalifornien. Wo es ja bereits mehrere Sichtungen des lebenden Beins gegeben hatte, die Baxter clever als Finte identifiziert hatte, was er nun noch cleverer als Reverse-Finte einkassierte. Außerdem war die von Xantener Bettelmönchen 1851 als Protest gegen den Goldrausch gegründete Nova Colonia Ulpia Traiana von dort nur einen Vierteldollarwurf entfernt – ein Ort aus vielen Erzählungen Joanes und angeblich Rückzugsort der Manson Family.
Das Zucken der Wimpern
Ohne mit der Wimper zu zucken, schaute Koi, der als Goldfisch keine Wimpern hatte, auf Baxter und sah eins zu eins, wie dieser sich, äußerlich unbewegt und ohne mit der Wimper zu zucken, am Pan-Am-Schalter ebenfalls zwei Tickets nach San Diego, Kalifornien, kaufte.
Eine Spontanhandlung, von der sich Baxter erst einmal erholen musste, gedankenverloren verfiel er in einen Gedankenmonolog: Vielleicht wäre es klüger gewesen, auf dem Anwesen zu bleiben und sich dort von Tante Trude zu einem mehrstündigen Tennismatch herausfordern zu lassen, dachte Baxter, vielleicht hätte er den Tag auch lieber mit Koi verbringen sollen, der schon länger ganz wild darauf war, ihm bei einer gemütlichen Partie Tekken seine neuesten Gabba-Scheiben vorzuspielen.
Doch Zuverlässigkeit war nun mal eine der wichtigsten Tugenden im Leben eines Geheimagenten, sagte er sich. Eine andere hieß Warten, und das wurde Baxter spätestens wieder bewusst, als ihm die junge freundliche Dame am Pan-Am-Schalter erklärte, dass sich der Abflug nach San Diego noch ein wenig verzögern könnte.
Während Baxter also zwei endlose Stunden im Flughafenrestaurant damit verbrachte, das zu beobachten, erblickte er eine Gruppe europäisch anmutender Vollspacken, die gerade dabei waren, ihr Gepäck an Bord zu bringen …
Fortsetzung demnächst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!