Die Wahrheit: Siamesische Zucchini-Zwillinge
Eines der größten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit wurde bislang noch keiner umfassenden Analyse unterzogen – bis jetzt …
E s gibt Phänomene, deren gesellschaftliche Sprengkraft lange Zeit verborgen bleibt. Deren zerstörerisches Potenzial sich erst zeigt, wenn es schon zu spät ist. Auf einen solchen unbemerkten Brandherd unserer hochgefährlichen Zeit möchte ich aufmerksam machen: Es geht um die Doppel-Zucchini.
Sie werden Ihnen schon im Supermarkt begegnet sein, jene Zucchini, die durch eine kleine Klebebanderole untrennbar zusammengehalten werden. Mit etwas Glück werden Sie sich kurz gewundert und gefragt haben, ob Sie „trotzdem“ zugreifen sollen, und sind Ihrer Wege gegangen. Ich jedoch lag abends auf dem Sofa, während die Grübelei über das wundersame Angebot mich langsam, aber sicher in die Verzweiflung zu treiben drohte.
Was soll das? Was wollen die da oben uns damit sagen? Muss ich mir das wirklich bieten lassen? Habe ich im rauen Alltag nicht schon genug zu erdulden? Ich kam zu dem Schluss, dass genau darin die Absicht liegen musste: Willkür. Reine, bösartige Willkür.
Jahrhundertelang haben die Konzerne alles darangesetzt, Waren jederzeit in jeder Quantität verfügbar zu machen. Mit Erfolg. Der Verbraucher ist ihnen heute ergeben. Die Bosse stehen siegreich da und fangen an, uns zu schikanieren. Aus schierer Langeweile. Weil sie es können.
Warum die Zucchini, werden Sie jetzt fragen. Warum keine Fenchel? Oder Cherimoyas? Nun, es hätte genauso gut Mister Fenchel oder Miss Cherimoya treffen können. Die unscheinbare Zucchini wird bei irgendeinem geheimen Bonzentreffen auf einer abgelegenen Insel per Zufall ausgewählt worden sein. „Warum nicht!“, werden die Säcke gelacht haben, Zigarrenstummel zwischen die Goldzähne geklemmt, die Champagnergläser in den klobigen Fingern.
Und schon bald werden weitere Produkte nach Belieben zusammengeschnürt: Drei Butternut-Kürbisse, fünf Würstchen im Schlafrock, zwölf Stabmixer. Vielleicht auch kombiniert: Drei Butternut-Kürbisse und neun Stabmixer. Ohne Preisnachlass, versteht sich.
Es ist, als würde der freie Markt dem Verbraucher den alten Streich mit den zusammengebundenen Schnürsenkeln spielen und amüsiert dabei zuschauen, was wir alles über uns ergehen lassen. Mit dem Unterschied, dass es uns nicht möglich ist, das Band der Zucchini zu entknoten. Und wir nur einen Magen haben statt zwei. Wobei ein einzelnes Magenband auch sicher zwei Mägen schnüren könnte. Was ich sagen will, ist klar: Entweder wir fangen jetzt an, uns gegen die Doppel-Zucchini zur Wehr zu setzen oder sie wird nur der Beginn eines produktbezogenen Psychoterrors ungeahnten Ausmaßes sein.
Ich habe heute damit begonnen, mich zu widersetzen, und zwei siamesische Zucchini im Rewe per Messerschnitt von ihrer Knebel befreit. Der Kassierer tat, als ob nichts wär, als ich sie demonstrativ einzeln aufs Band legte. Ein kleiner Triumph, den er mir missgönnte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!