Die Wahrheit: The Ballad of Lucy Lameck
Sich mit einer Freundin in Berlin treffen zu wollen, aber nicht zu wissen, dass am Treffpunkt die Straße umbenannt worden ist, kann peinlich werden.
I ch bin mit Freundin D. in Neukölln verabredet. Netterweise kommt sie aus ihrem Vorort im Sumpf die ganze Strecke zu mir in die Stadt gefahren. Als Treffpunkt vorgeschlagen habe ich die Ecke Hasenheide und Wissmannstraße. Von unterwegs schreibt sie: „Wurde die Wissmannstraße in Lucy-Lameck-Straße umbenannt?“
Lucy Who? Nicht, dass ich wüsste. Doch dann erinnere ich mich wieder dunkel an diverse Zeitungsartikel. Schon seit Jahren wollten sie die Straße umbenennen, von einem bösen weißen Mann in eine liebe schwarze Frau. Das ist inzwischen offenbar erfolgt. Ich kriege echt gar nichts mehr mit. Das ist schon ein bisschen peinlich, denn immerhin wohne ich seit hundert Jahren in der Gegend und komme fast täglich hier vorbei. Es ist „meine Hut“, wie die Leute das jetzt nennen, also nenne ich das ebenfalls so, scheiß auf die Grammatik. Man will ja mit den Wölfen heulen. Auf der Höhe der Zeit sein, juvenil sein, korrekt sein, und immer schön ablenken von der unter der dünnen Haut von Toleranz, Respekt und Rücksichtnahme schwärenden Dreifaltigkeit des Bösen: Wissmann, Bormann, Hannemann.
Im Moment will ich allerdings lieber von meinem Fauxpas ablenken, und gehe stracks in die Vorwärtsverteidigung: „Ja, aber ich benutze natürlich lieber den Namen eines Kolonialverbrechers“, schreibe ich zurück. „Da weiß man wenigstens, wer das war und was der so gemacht hat. Außerdem kann man sich den besser merken als so einen unaussprechlichen Exotennamen wie ‚Lameck‘.“
Und weil ich schon mal fett auf Touren bin, drehe ich gleich noch weiter auf, als D. endlich vor mir steht. „Willkommen an der Wissmannstraße“, begrüße ich sie in schnarrendem Tonfall und schlage zackig die Hacken zusammen. Sie mustert das Straßenschild und sagt nur: „Guck mal, tatsächlich, da steht’s: Lucy-Lameck-Straße.“
„Egal“, sage ich. „Das spielt für mich keine Rolle. Auch der Ku’damm wird für mich immer die Adolf-Hitler-Allee bleiben.“ – „Ach?“ D. staunt. „Das wusste ich gar nicht: Hieß der mal so?“ – „Nein, aber er wird es trotzdem immer für mich bleiben.“
D. wirkt irgendwie unzufrieden. Besser ich rudere langsam mal ein Stück zurück und gebe mich wieder etwas „weltoffener“. Sonst werde ich am Ende allein für meine ehrliche Haltung sozial geächtet, wie das ja schon meinem Lieblingsbrudi Uwe Tellkamp passiert ist. Vor allem aber will ich meine Freundschaft mit D. nicht aufs Spiel setzen. „Ich bin jetzt bei FFF“, sage ich, „das Erdklima ist mir total wichtig.“
Den genauen Charakter meines Engagements führe ich vor ihr nicht näher aus, doch auf der Porno-Website „Fuck for Forest“ kann man Dreadlocks tragenden Waldwichteln beim Vögeln zugucken. Der Umwelt zuliebe, denn mit dem Erlös werden Wiederaufforstungsprojekte in Costa Rica finanziert: Kind gezeugt, Baum gepflanzt, kennste. Es ist nicht so, dass Meinesgleichen nichts mehr dazulernt.
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