Die Wahrheit: Sowas von handgemacht
Mitunter entstehen Situationen im Leben, auf die ist man aufgrund von Malaisen und Hunger schlicht und einfach nicht vorbereitet.
D arf ein Mann seinen guten Vorsätzen untreu werden? Wenn er durch die Stadt irrt, geplagt vom Zahnweh, vom Schienenersatzverkehr und überdies auch noch vom Hunger, der lauter im Leib rumort als das schlechte Gewissen?
Schnell und verschämt ließ ich mich in eine winzige Bahnhofsfiliale von Burger King gleiten. Am Tresen begrüßte mich eine ältere Frau, eine weitere wartete halb versteckt im Bratbereich. Die Verkäuferin fragte freundlich, doch auch subtil drängend nach meinen Wünschen. Aber was nun hier bestellen?
Ich entschied mich für Pommes Frites in einer der Delikatessvarianten, wie sie neuerdings allerorten angeboten werden: frittierte Kartoffelmehlpressstäbchen, verfeinert mit geschmolzenem Industriekäse und vertrockneten Zwiebelstückchen. Das Verbrechen gegen Geschmack und Vernunft auf dem Tablett setzte ich mich in die hinterste Ecke und begann, gierig zu schlingen. Hunger und schlechtes Gewissen arbeiteten nun Hand in Hand und beschleunigten gemeinsam den Verzehr.
Ganz neue Worte
„Ich bin so froh, dass Sie hier sind!“, klang es plötzlich vom Tresen herüber. „Ich bin so froh, dass Sie hier arbeiten!“ Was für Worte, aber auch in der Filiale einer amerikanischen Bulettenbraterei! Die alte Verkäuferin war ebenso verdutzt wie ich und lächelte unsicher. Vor ihr stand ein sächsisches Paar auf Reisen, das eben das Lokal betreten hatte.
„In den anderen Filialen gibt’s ja nur noch diese fürchterlichen Automaten“, fuhr die Kundin fort, unterstützt vom Kopfnicken ihres Mannes. „Damit komme ich gar nicht zurecht. Ich bin so froh, dass man hier noch von Menschen bedient wird!“ Das Gesicht der Verkäuferin, auf dem vorhin noch der stumpfe Ausdruck stummen Leidens gelegen hatte, hellte sich wirklich auf. „Vielen Dank!“, sagte sie. „Es wird halt überall gespart und die Leute machen es mit. Irgendwann wird das sicher hier auch kommen.“ Der Sachse hatte sein Stichwort bekommen: „Ja, es ist furchtbar, wie es mit Deutschland bergab geht. Es ist eine Schande!“
Mit zwei kompletten Burger-Menüs setzten sich die beiden Sachsen an den Tisch neben meinem. „Ist doch furchtbar, oder?“, begrüßten sich mich, auf Zustimmung hoffend. Und ich war mitten im Genuss meiner Fritten in der Laune, sie ihnen nicht hartherzig zu verweigern. „Ich boykottiere das auch“, sagte ich. „Ich bezahle im Supermarkt auch nicht an Automaten. Warum soll ich diesen Firmen die Arbeit abnehmen?“ Energisch nickte das Paar. „Wir bezahlen so viel Geld und dann lassen wir uns derart verarschen!“, steigerte sich der systemkritische Sachse in fast schon vorrevolutionäre Wut.
Als ich bis zum letzten Krümel aufgegessen hatte, verabschiedete ich mich. Ich blickte mich um, aber konnte kein Abstellregal für mein benutztes Tablett entdecken. Da ließ ich’s einfach auf dem Tisch stehen. Die Frauen, die hier für uns brieten, würden sich über noch mehr traditionelle Handarbeit ja gewiss freuen.
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