Die Wahrheit: Das SEK der dritten Art
Ditte is Ballin, wa! Ein Sondereinsatzkommando der Polizei stürmt ein Nagelstudio. Und unsereins darf vom Fenstersims aus zugucken.
N eulich half ich mal wieder unserem französischen Dachdecker, die scheiß Regenrinne zu schweißen. Seit sie so ein haarnadelkopfgroßes Loch hat, donnern die Tropfen genau auf unser Fensterbrett und klingen wie der Schlagzeuger einer mäßig begabten Schülerband.
„Oui, ’alt die Rinne güt fest“, sagte der nette Decker, während Funken flogen, die meinem hornhautgestählten Gesicht aber nichts anhaben konnten. Man hilft ja einer überforderten Hausverwaltung, wo man nur kann. Herumstreunende Marder einfangen und Schwingungsdämpfer arretieren, gehören zum Einmaleins der Berliner Mieter.
Als ich mich dann ruhigen Gewissens wieder ins Homeoffice schleppte, schepperte es unten ganz furchtbar. Das konnte nicht die Regenrinne sein, die den Abgang machte. Das klang auch nicht nach den Kindergartenkindern im Erdgeschoss, die sich regelmäßig einen Scherz daraus machen, Leergut neben die Tonne zu pfeffern.
Als ich zwei Stockwerke unter mir den Ruf „Polizei, alle auf den Boden!“ hörte, schlich ich zum Fenster mit Blick auf die Straße. Schwer bewaffnete Boys eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) hatten sich mit Handwerkerfahrzeugen herangepirscht. Aus dem Van „Dombrowskis Köhlerstübchen“ stiegen Polizisten. Sie holten aus dem Kastenwagen „Holgers Glaserei“ einen kleinen Rammbock heraus und schlugen damit die Tür ein.
In der Hauptstadt erlebt man ja so einiges. Vor ein paar Jahren hatten Idioten zwei Kinderwagen im Treppenhaus angezündet. Eine Armada an Feuerwehrautos war angerückt, um den Rauch abzusaugen. Ich beobachtete mit meinem Mitbewohner das Spektakel vom Fenstersims aus, während unsere Weedbutter allmählich abkühlte und die Feuerwehr die verkohlten Kinderwagen mit Schaum übergoss. Und nun wieder dieser Radau, zwei Stockwerke unter mir.
Bei der nun erstürmten Wohneinheit handelte es sich um das Nagelstudio „Treptower Glanz“. Es war einst die Perle des Berliner Bezirks. Senioren standen Schlange, um sich von Herbert Schweck – alte Schule – mal so richtig schön die Nägel machen zu lassen, anschließend gab’s ein Gläschen Rotkäppchen, um dann mit dem Riesenrad im nahen DDR-Vergnügungsgelände Spreepark ein Ründchen zu drehen. Seit ein paar Monaten stand das Studio nun leer und hatte bis auf das SEK keine Besucher verzeichnet.
Plötzlich klingelte es an meiner Tür. Das SEK? Nein, die klingelten nicht, die traten gleich die Tür ein. Und da war er auch schon drin in der Wohnung, der „Ista“-Mann. Er sei für „die Nachzügler“ da, müsse die neuen Heizkostenverteiler des Energiedienstleisters Ista anbringen, ob ich ihm da nicht helfen könne.
Regenrinnen- und Marder-erprobt, klemmte ich eilfertig die Plastikteile in die Heizkörperrippen. Kurz darauf schlich ich zur aufgebrochenen Eingangstür vom „Treptower Glanz“. Ein Zettel steckte im Türrahmen. „Leider konnten wir Sie zum Ablesetermin nicht antreffen. Ihre Ista.“
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