Die Wahrheit: Adlige Schwestern von gestern

Der Landkreis Grafschaft Bentheim wird jetzt gendergerecht – und wirkt damit weit in deutsche Lande hinein als Trendsetter.

Genderneutrale Toilette in Bad Bentheim Foto: Stefan Boness/Ipon

Der beschauliche südwestniedersächsische Landkreis Grafschaft Bentheim macht nur selten von sich reden. Überregional bekannt geworden ist er hauptsächlich durch eine münsterländische Dessertspezialität (Vanillepudding mit Sahne, Rum und geraspeltem Knochenschinken) sowie durch das Bunte Bentheimer Landschwein. Revolutionäre Neuerungen sind von dort noch nie ausgegangen.

Bis jetzt. Um sich von dem noch verschnachteren Nachbarlandkreis Emsland abzugrenzen und in Sachen Geschlechtergerechtigkeit zu punkten, hat der Landkreis Grafschaft Bentheim beschlossen, sich in „Landkreis Grä­f*in­schaft Bentheim“ umzubenennen. In Kraft treten soll die Änderung am 1. Januar 2022.

Diese Entscheidung ist auf scharfe Kritik aus dem Fürstenhaus zu Bentheim und Steinfurt gestoßen. In einer Stellungnahme heißt es, dass die Umbenennung „töricht“ sei, weil in der Grafschaft Bentheim immer nur Grafen regiert hätten und keine Gräfinnen. Auf RTL hat der bekannte Society-Psychologe Jo Groebel jedoch Zweifel an dieser Darstellung angemeldet und darauf verwiesen, dass der Graf Ernst Wilhelm zu Bentheim und Steinfurt (1623–1693) eine Frau gewesen sei und seine Kinder nicht persönlich gezeugt, sondern sie aus einem Waisenhaus in der Ortschaft Wietmarschen geraubt habe.

Damit diesem Verdacht nachgegangen werden kann, hat das Bad Bentheimer Ordnungsamt zahlreiche Exhumierungen genehmigt, die Anfang kommender Woche im gesamten Landkreis beginnen sollen. Experten rechnen mit extrem verwickelten Erbschaftsstreitigkeiten für den Fall, dass sich Groebels These bewahrheiten sollte.

Gräfinnen in der Sprache

Begrüßt worden ist der Vorstoß des Landkreises unterdessen von der grünen Kreistagsfraktion in der Grafschaft Bentheim mit den Worten: „Es ist wünschenswert, dass auch Gräfinnen in der Sprache sichtbar gemacht werden. Dieser Beschluss bricht die patriarchalen Strukturen in der Grä­f*in­schaft Bentheim weiter auf. Sprache ist ein wichtiges ­Instrument auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe und Akzeptanz von Gräfinnen. In der neuen Schreibweise werden sie als unsere adligen Schwestern von gestern gedanklich inkludiert.“

Nachziehen wollen demnächst die Grafschaften Stain-Niederstotzingen, Hohenzollern, Ratzeburg, Dülmen, Hückeswagen, Zweibrück und Reuß-Lobenstein. Und auch in Fürstenau im Landkreis Osnabrück neigt man dazu, sich dem Trend anzupassen und die Stadt in „Fürst*innenau“ umzutaufen.

Ganz ähnlich denkt man im mittelfränkischen Herzogenaurach, wo es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Gemeinde sich den gendersensiblen Namen „Herzog*innenaurach“ gibt. Auch Grafenwöhr und Gräfenhainichen steht eine Umbenennung bevor – in „Gräf*innenwöhr“ beziehungsweise „Gräf*innenhainichen“ –, während die Fürstenfeldbrucker sich noch stur stellen und die veraltete Schreibung beibehalten wollen.

Noch radikalere Maßnahmen

Im brandenburgischen Fürstenwalde sinnt man hingegen auf noch radikalere Maßnahmen. „Es ist an der Zeit, die aristokratischen Zöpfe abzuschneiden“, sagt Jens-Oliver Mehlhase, der Sprecher der Fürstenwalder Bürgerinitiative „Weg mit ‚Fürstenwalde‘!“, die sich die Umbenennung ihrer Heimatstadt in „Arbeitnehmendenwalde“ auf die Fahnen geschrieben hat.

Ein hehres Ziel! Es stößt allerdings auf den Widerstand einer Initiative von Fürstenwalder Langzeitarbeitslosen, die sich in dem geplanten neuen Namen der Stadt nicht vertreten sehen, und zwar ebenso wenig wie die Personen, die sich in Fürstenwalde noch im Vorschulalter oder in der Ausbildung befinden, einem freien Beruf nachgehen oder bereits in Rente sind. Bei einem Sternmarsch zum Fürstenwalder Rathaus haben diese Bevölkerungsgruppen am vergangenen Freitag deshalb ihre Forderung unterstrichen, dass Fürstenwalde nicht einfach in „Arbeitnehmendenwalde“ umbenannt werden soll, sondern in „Vorschulkinder-, Schüler*innen-, Studierenden-, Auszubildenden-, Selbstständigen-, Arbeitnehmenden-, Arbeitslosen- und Verrentetenwalde“.

In diesen Zusammenhang spielt auch die aktuelle Diskussion hinein, ob die urkundlich erstmals im Jahre 1002 erwähnte fränkische Stadt Erlangen aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit für die nächsten eintausend Jahre in „Sielangen“ oder besser in „Eslangen“ umbenannt werden solle. Darüber wird in Erlangen dieser Tage hitzig gestritten. Inzwischen gibt es aber auch in Erfurt und in Erkelenz Bestrebungen, die in die gleiche Richtung zielen, und wie man hört, kursiert in den höheren Behörden des Rhein-Erft-Kreises ein Arbeitspapier, in dem die Alternativschreibungen „Rhein-Sieft-Kreis“ und „Rhein-Esft-Kreis“ erörtert werden.

Fein heraus ist vorläufig immerhin der künftige Landkreis Grä­f*in­schaft Bentheim: Nach einem Bericht der New York Times ist er wegen seiner Umbenennung für den Friedensnobelpreis nominiert worden.

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