Die Wahrheit: Sonstige an die Macht

Kleine Versuchsanordnung am politischen Hilfsgerät: Für besonders Unschlüssige erzeugt der Wahl-O-Mat besonders erstaunliche Resultate.

Eine Frau hält ein gefülltes Sektglas.

Vetreterin der Sonstigen auf Stimmenfang Foto: Karsten Thielker

Ich weiß nicht, für welche Partei ich mich bei der anstehenden Bundestagswahl entscheiden soll. Der Wahl-O-Mat hilft mir kaum weiter. An den ersten acht Positionen erscheinen kommunistische Splittergruppen, von denen ich zum Teil noch nie gehört habe. Schon wenn man bei der sinngemäßen Frage, ob alle Armen sofort getötet werden sollen, auch nur „neutral“ anklickt, landet man offenbar unweigerlich im linksradikalen Spektrum.

Doch auch dort fühle ich Bürgerkind mich nicht so richtig abgeholt. Und man sagt ja immer, dass die Wähler sich von einer Partei oder einem Politiker „abgeholt fühlen“ müssen. Wie wenn du von einer langen Reise zurückkommst und schlurfst dann mit deinem Gepäck vollkommen erschöpft durch die Glastür nach draußen in den Ankunftsbereich des Flughafens, und da winkt plötzlich direkt vor dir eine Partei oder Politikerin, ausgeschlafen und gut gelaunt, mit einem Blumenstrauß und einem von einem Kind mit bunten Filzstiften gemalten Willkommensschild, und ruft laut „Hey! Uli!“, und lacht und freut sich; du sagst, sorry, ey, aber ich bin total fertig, bei Qantas sind die Sitzreihen so eng, und eine Verhaltenstherapiegruppe mit Flugangst hat zwanzig Stunden lang nonstop geschrien wie beim Bundeswehrzahnarzt; sie ignoriert das, füllt zwei Plastikbecher (ich weiß, die Natur, nächste Wahl …), drückt dir davon einen in die Hand und ruft laut „Stößchen! Willkommen daheim! Wähl mich!“, und auf einmal bist du wieder wach, ext die Puffbrause und fühlst dich tippitoppi abgeholt und zu Hause, also die würde ich sicher wählen.

Sagenhafte Prozentzahlen

Gibt es aber nicht. Keines der Angebote vermag mich so richtig zu überzeugen. Nur eine Partei interessiert mich noch. Ich weiß nichts über sie, aber das ist hier eher ein Vorteil: Die hat mich – vielleicht auch aus Mangel an Gelegenheit – wenigstens noch nie enttäuscht. Und sie ist definitiv im Kommen. Nicht so eine chancenlose Kleinstpartei. 2017 noch bei 3,1 Prozentpunkten, befindet sie sich in den aktuellen Prognosen schon bei sagenhaften 9 Prozent. Das sind Zuwächse, von denen alle anderen nur träumen können. Allein der Name ist ein großes Versprechen an die Unschlüssigen: die „Sonstigen“.

Über die würde ich gern mehr erfahren. Was wollen sie und wer sind ihre Gesichter? Leider sieht man nirgendwo Plakate: „Der andere Weg: Sonstige wählen“, „Sei kein Arsch: alle 5 Stimmen Sonstige“ oder „Sozial, Sodann, Sonstige“. Rechnet man den Stimmenanteil hoch, den sie bereits ohne jede Öffentlichkeitsarbeit erzielen, wäre mit ein wenig Werbung die absolute Mehrheit drin. Aber vielleicht ist den potenziellen Wählern gerade dieses Understatement so sympathisch.

Abseitige Themen

Vor einem Rathaus findet sich dann doch immerhin ein Wahlstand. Unter einem Schirm in den Parteifarben, einer bunten Palette gern verkannter Nuancen wie Altrosa, Apricot, Petrol, Pavianpurpur und Eiterbeige empfängt mich Susa Anders, Pressesprecherin, Praktikantin und Spitzenkandidatin der „Sonstigen“. „Keine Ahnung, warum wir in den offiziellen Diagrammen immer nur als graue Säule dargestellt werden“, klagt sie und findet dann doch eine simple Erklärung: „Die etablierten Parteien haben Angst vor uns. Und Grau wirkt nun mal harmlos und unauffällig. Die Leute sollen denken, dass es uns gar nicht gibt.“

Zum Parteiprogramm hält sich die unscheinbare Frau bedeckt: „Wir kümmern uns um alles andere.“ Auf die Frage, was dieses „andere“ denn exakt beinhalte, präzisiert sie vage: „Irgendwas. Themen abseits des Mainstreams, an die sonst keiner denkt. Scheinbar Abwegiges. Minderheitenprogramm unter ‚ferner liefen‘. Sonstiges eben.“ Im Finden von Synonymen, im Paraphrasieren, Umschreiben und im Double-talk ist Anders stark, doch im Detail verbleibt sie unverbindlich. Auch über das Personal der Sonstigen erfahren wir nichts Konkretes: „Irgendwelche Andersdenkenden, die sonst keiner kennt.“

Koalition mit den Ungültigen

Doch beim Thema Regierungsbeteiligung wird die Sprecherin auf einmal überraschend deutlich. „Wir wollen das Land mitgestalten“, verkündet sie selbstbewusst, „wenn alles gut läuft, stellen wir sogar die Bundeskanzlerin.“ Gleich darauf wird sie schon wieder realistischer: „Natürlich könnten wir uns auch an der Spitze eines noch zu schaffenden Ressorts für,Sonstiges' vorstellen, in einer Koalition zum Beispiel mit den ‚Anderen‘, den ‚Ungültigen‘ oder auch den ‚Freien Nichtwählern‘. Bei der letzten Wahl haben die fast 24 Prozent geholt. Normalerweise stellst du mit dem Ergebnis den Außenminister, aber dann wurden ihre Stimmen einfach nicht gewertet. Angesichts einer solchen Verhöhnung des Wählerwillens fragt man sich schon, ob man das überhaupt noch Demokratie nennen kann.“

Ja, das fragt man sich in der Tat. Ein Glück, dass es die „Sonstigen“ gibt. Die legen ordentlich den Finger in die Wunde.

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