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Die WahrheitDas erste Mal richtig schmutzig

Zurück zur Natur: Schriftsteller und ähnliche Stadtmenschen finden „da draußen“ meist sich selbst im Völkischen wieder.

Auf der Krume dringt der Dreck bis in die Poren Foto: Pierre Chiussi

Dass Schriftsteller gern öffentlich über Dinge salbadern, von denen sie nichts verstehen, ist eine bittere Binse. Doch während sie von der eigenen Ahnungslosigkeit meist selbst nicht das Geringste ahnen, können sie auch ausnahmsweise mal ironisch mit ihrem Unwissen kokettieren: ein solcher Ausnahmefall sind ihre Bücher mit launigen Gartengeschichten.

Das letterngewordene Greenwashing posturbaner Schmocks bildet längst ein ausuferndes Genre innerhalb der leichten Unterhaltungsliteratur. „Zurück zur Natur“, „Mein Kampf: Wühlmaus, Zecke, Giersch & Co.“, „Im Garten unbesiegt“; der Hauch des Völkischen, der wie der Ludergeruch eines verwesenden Reichsadlers aus den Titeln weht, kommt nicht von ungefähr. Denn das Land- und Gartenleben verändert die Autoren, innerlich wie äußerlich. Das werden sie denn ja auch nicht müde zu beschreiben.

Bei ihrer ersten Ankunft auf dem Land ist zunächst alles toll. Alles so schön grün hier. Die Landmenschen sind rau und gut. Der Zug nach Berlin fährt alle zwei Stunden. Auch die Nazis haben ihr Herz am rechten Fleck, wie die First People, die den Siedlern der „Mayflower“ mit Gartentipps und Foodpacks selbstlos durch die ersten harten Winter in Amerika halfen.

Hat die Autorin es nicht richtig raus aufs Land, sondern nur in eine Laubenkolonie geschafft, braucht sie sich um eine faschistoid gesättigte Atmosphäre ohnehin nicht mehr zu kümmern. Jeden Tag stehen die grauen Eminenzen der Kleingartenanlage „Zum Deutschen Feld“ am Zaun und mahnen, wo ein zu langer Hippiehalm frech gegen die vorgeschriebene Rasenlänge aufmuckt und wo die anteilige Gemüseanbaufläche gegen irgendein Statut des Gaugemüse­leiters verstößt.

Tintenfass ohne Boden

Doch egal ob Kolonie am Stadtrand oder weit entferntes Waldgrundstück, die Renaturierung der degenerierten Dichter ist ein Themenfass ohne Boden. Das vergebliche Ringen mit Pflanzen, deren Bedürfnisse man nicht versteht, einer feindlich gesinnten Fauna und dem verlässlich falschen Wetter ist zunächst immerhin spannend. Augenzwinkernd schildern sie ihren steinigen Weg der Erkenntnis, lustige Lapsus, Erlebnisse mit den urigen Nachbarn, ihre eigene endgültige Menschwerdung, eins mit der Natur.

Die Schriftstellerin hat zum ersten Mal ein Schäufelchen in der Hand, zum ersten Mal schmutzige Fingernägel, erlebt zum ersten Mal bewusst die mitteleuropäischen Jahreszeiten. Bisher kam sie immer reichlich durcheinander: La Gomera, DomRep, Goa – da war ja immer schönes Wetter. Nun aber die Rückbesinnung auf die „Heimat“ – für einige auch überfällige Abgrenzung von den vaterlandslosen Gesellen aus der Lifestyle-Linken –, und das Erweckungserlebnis in karger märkischer Krume: „Wow, und da, wo ich im März einen Samen in das Erdreich gedrückt habe, wächst jetzt was.“

Exakt so steht das dann auch im Buch. Biologische Basics, wie wir sie schon als Siebenjährige im Heimat- und Sachkundeunterricht verinnerlicht haben, werden uns nun, zu Hunderttausenden für neun Euro neunzig das Stück in den Bahnhofsbuchhandlungen gestapelt, als Essenz des Lebens verkauft. Auf dem Cover künstlich naiv gezeichnete Gemüse mit rotwangigen Lachgesichtern – der redundante Schwachsinn soll wohl Kunde vom gelungenen Anbau essbarer Nutzpflanzen geben.

Kraut und Rüben

Was da wächst, ist zwar in Wahrheit nichts als Unkraut, doch bis die Feld-, Wald-, und Wiesenliteraten das von Kraut unterscheiden können, dauert es noch Jahre. Trotzdem streuen sie das Zeug auf den Salat und in die Soße. Hildegard von Bingen würde auf dem Scheiterhaufen rotieren wie ein Grillhähnchen, wäre sie dort gelandet.

Für Obst wie Gemüse gilt, dass man den unansehnlichen Schrumpelkram buchstäblich in der Pfeife rauchen kann. Trotzdem verteidigen die Autoren ihre klägliche Missernte als lebende Vogelscheuchen mit Zähnen und Klauen gegen den Fressfeind. Bei einem ihrer nur noch seltenen Ausflüge in die Stadt stehen sie schließlich vor dem Literarischen Colloqium Berlin am Großen Wannsee in einer Runde mit anderen schriftkundigen Hobbybauern und berichten schmunzelnd, wie sie beim Kampf um eine Topinamburpflanze einen eingebrochenen Wolf, „kann aber auch ein Waschbär gewesen sein“, mit bloßen Händen erwürgten.

Weisheiten wie nur die Natur sie lehrt, werden ausgetauscht wie früher Informationen über Lektoren und Agentinnen: Drossel ist der Name der weiblichen Amsel; je bunter die Pilze, desto schmackhafter; wenn man direkt aufs Beet kackt, wächst der Kürbis besser; dort draußen braucht man unbedingt so einen Brutalo-Van mit Allrad, damit man durchs Bachbett zum zehn Kilometer entfernten „Konsum“ (Betonung erste Silbe) motorraften kann. Auch hätten sie sich vorher niemals träumen lassen, dass sie eines Tages Nacktschnecken noch mehr hassen würden als Kritiker.

800.000

Ganz besonders invasiv verhält sich die erdrückend große Rotte Berliner Provenienz. Wenig überraschend, denn legt man nur die amtliche Statistik der Corona-Soforthilfen zugrunde, bezeichnen sich allein in der Hauptstadt über achthunderttausend Menschen offiziell als „Schriftsteller:innen“: Ob in der Prignitz oder im Havelland, überall fallen sie auf der Suche nach ihrem persönlichen Lebensraum im Osten ein wie ein schreibender Heuschreckenschwarm.

Noch die letzte verfallene Kate aus Lebkuchen oder Asbest, die letzte Brennnesselwiese im postnatürlichen Holztschernobyl eines sich nach der Wende für alle Zeiten selbst überlassenen Spanholz-Kiefernforstes made in GDR wird den Einheimischen um jeden Preis aus den ersterbenden Pfoten gerissen. Fast möchte man meinen, die Künstler türmten fluchtartig aus einem brennenden Berlin, doch da brennt gar nichts, außer ihrer Sehnsucht nach noch mehr Leere.

Kein Wunder, dass der kritischen Literatin von heute rechts das neue Links ist. Die Landflucht ist nur ein Symptom des regressiven Rückzugs auf sich selbst, die eigene Scholle, das Rauschen des deutschen Waldes, das trauliche Schwarz-Weiß-Rot von Brombeere, Spargel, Tomate; kurz, man wird halt irgendwie selbst zu einer Art Nazi. Aber so viel wissen wir ja inzwischen: Das ist im Grunde vollkommen okay; alles ist okay; Hauptsache, nachhaltig.

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3 Kommentare

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  • Kraut und Rüben – nachhaltig.

    So viel Stadtflucht. Aber was ist mit denen, die zu Hause bleiben – müssen? Dort ist es gar nicht so einfach. Ich lenke ich den Blick mal auf die Kinder, die erst mal da zu Hause sein müssen, wo sie eben sind – in den großen Städten und welche Blicke die auf die dort (noch) vorhandene Natur werfen. Ich hatte den Verein *bild + begegnung* kennengelernt, der mit Kita-Kindern Expeditionen dorthin unternahm. An zweien davon habe ich teilgenommen. Das Projekt Aussicht auf Natur: *Mit Kitakindern erforschen wir Naturareale. […] Die Räuberhöhle, den Lieblingsbaum, den Froschteich und das Zauberwäldchen. Zusammen mit Vorschulkindern in Großwohnsiedlungen entdecken wir ihre grüne Umgebung, die ihnen oft unbekannt ist.* Das besondere: Die Knirpse fotografieren und machen Videoaufnahmen. Das geht! Und es lenkt die Kinder auch nicht vom direkten Erleben ab. Diese Kinder zeigen uns, was SIE sehen und wie SIE das erleben. Wen diese Perspektive der Sache interessiert, der Link ist unten eigestellt. Das, was man zu sehen bekommt, stammt ausnahmslos von den Kindern, selbst fotografiert, gefilmt und ausgewählt. Schon technisch brauchten die Knirpse dafür erstaunlich wenig Unterstützung. Wie gesagt, eine weitere Perspektive.

    Bild + Begegnung. *Aussicht auf Natur* - in zwei großen Großstädten. Alles weitere dort:



    bild-und-begegnung...ussicht-auf-natur/

  • UFF. DA BISTE (fast) PLATT.



    Dieser Text wurde nicht mit der Feder geschrieben. Der entstand aus der Wirkung eines routiniert geführten satirischen Vorschlaghammers. Wuchtig, dicht, intensiv mit sicher geführtem Krafteinsatz wird hier das Skriptum der WAHRHEIT nicht etwa in den Stein gemeißelt. Der Hammer zertrümmert die Oberfläche des Felsens und legt IHRE darunter befindlichen WORTE unumstößlich frei. Eine wahrlich herkulische Tat. Dann ist es, als ob das Innerste eines Augiasstalls mit Wucht auf einen zu kommt. Uii – da bin ich aber erst mal gelaufen. Erst wenn das vorüber ist, kann ich mich wiederum nähern, die Schrift zu deuten.



    Wer da wie ich sich erst mal nur zu lautmalerischer Äußerung in der Lage sieht; Umwege führen auch manchmal zum Ziel. Hier geht es auch um Ausflüge nach Datschetsien. Kersten Augustin holt einen an der Haltestelle von Taz-Tours gleich neben an zu einer Kurzreise dahin ab. (1) Mit einem ebenfalls dichten, intensiven Text, der sich hinter seiner Lakonie erschließt. Link (2) Auch dieser TOURISTISCHE Ausflug ist nicht etwa „SANFT“. Hat aber – jedenfalls in meiner Anmutung – sogar etwas herb - zärtliches und erläutert mir Westler erst mal, was das mit den Datschen und der Landflucht so auf sich hatte und hat. Mir hat der Text jedenfalls gut getan und bestärkt mich für eine erneute Annäherung hier.

    (1) Kersten Augustin: *Mein Sommerloch, ein See* taz.de/Abschalten-im-Urlaub/!5787731/







    (2) Lakonie als Stilmittel einzusetzen, das kann man durchaus kritisch sehen, wenn es nicht gelingt. Arno Frank setzt sich für DIE WAHRHEIT damit auseinander: *Im Speckgürtel des Speckgürtels* „Eine Erfolgsautorin gönnt sich nach ihrem ersten Roman nahe der Metropole eine Datscha und sinniert herrlich lakonisch über das Leben“. taz.de/Die-Wahrheit/!5786082/

  • Kinder weinen.



    Narren warten.



    Dumme wissen.



    Kleine meinen.



    Weise gehen in den Garten."



    Joachim Ringelnatz

    Schmock! Et jibt et noch!



    Ich weiß noch in" Blutige Erdbeeren"(drei -viermal gesehen) kam das Wort Schmock vor.



    Blutig Erdbeeren - Helpless



    www.youtube.com/watch?v=b9DY4jdvDOk



    Kühner Übergang. Den gelben Mond gibt es auch in Brandenburg.



    Schon hetze ich auf der richtigen Spur weiter.



    Informative Gartenliteratur ist auch- Der Berg ruft-Die Nordwand in der Märkischen Schweiz-(Flora und Fauna)



    ..degenerierten Dichter ist ein Themenfass ohne Boden...



    Ein kleiner Schritt in der Nordwand(MS) und es finden sich andere Themen.



    .... Fast möchte man meinen, die Künstler türmten fluchtartig aus einem brennenden Berlin, doch da brennt gar nichts, außer ihrer Sehnsucht nach noch mehr Leere...



    Die Bildsprache ist gewaltig!



    Das Gute ist, die Wahren sind geblieben, Tucholsky, Kisch uund..R..(Wahrenauszug!)



    Ketzerei!



    ... Hildegard von Bingen



    upload.wikimedia.o...ingen_21092013.JPG



    würde auf dem Scheiterhaufen rotieren wie ein Grillhähnchen, wäre sie dort gelandet.....



    Zum Glück gibt es jetze Gewaltenteilung!