Die Wahrheit: Cuthbert, das Raupenplagiat
Der Kampf der britischen Supermarktketten um eine Zuckerbombe, die sich wohl nie in einen Schmetterling verwandeln wird.
Z um Nachtisch gab es eine Raupe namens Colin. Wegen der niedlichen Knopfaugen wollte aber niemand der fünf Gäste bei der Geburtstagsfeier unseres Nachbarsjungen ihren Kopf essen. Doch Colin hatte sechs gestiefelte Beine, eins für jeden Partygast. Sie bestanden aus weißer Schokolade.
Colin ist ein kleiner Kuchen in Form einer Raupe. Die Kaufhauskette M&S hat seit dem Jahr 1990, als Colin aus dem Ei geschlüpft ist, 15 Millionen Stück verkauft. Nur der klebrige Percy, ein Schweinchen, ist noch beliebter.
„Man weiß, was man bekommt, wenn man Colin the Caterpillar kauft“, schreibt der Guardian. „Aber bei einem Preis von sieben Pfund ist es ein exklusiver Kuchen, durch und durch Tory.“
Es war nur eine Frage der Zeit, bis andere Supermärkte ein ähnliches Produkt auf den Markt warfen. Sie taten es alle: Tesco hat Curly the Caterpillar, Waitroses Raupe heißt Cecil, Asdas heißt Clyde, Co-op hat Charlie, und Sainsbury verkauft Wiggles the Caterpillar. Zum Schluss zog Aldi mit Cuthbert the Caterpillar nach. Das war dann doch zu viel für M&S. Der englische Edelsupermarkt verklagte den deutschen Discounter. Cuthbert ziehe Colins guten Namen und seinen untadeligen Charakter in den Schmutz, behauptet M&S.
Tatsächlich sehen sich die beiden Raupen sehr ähnlich. Colin hat sich in den dreißig Jahren nicht verändert, schon gar nicht in einen Schmetterling. Aber im Preis unterscheiden sich die beiden deutlich, Aldis Raupenplagiat ist gut zwei Pfund billiger. Geschmacklich fallen beide in die Kategorie Zuckerbombe. Deshalb traut M&S der Urteilsfähigkeit der Kundschaft wohl nicht und will die Konkurrenz lieber durch ein Gerichtsurteil als durch überlegene Qualität ausschalten.
Cuthbert war vorsichtshalber eine Weile untergetaucht. Doch dann kam er als limitierte Sonderproduktion mit leicht verändertem Gesicht zurück: Seine Augen sind nicht mehr braun, sondern weiß. Weil M&S einen Teil von Colins Profit an eine Krebsfürsorge spendet, gründete Cuthbert seine eigene Wohltätigkeitsorganisation, den „Teenage Cancer Trust“. Um dafür Spendengelder aufzutreiben, organisierte Aldi einen Fallschirmsprung für den Kuchen. Cuthbert wurde aus einem Hubschrauber geworfen und segelte an einen Fallschirmchen sacht zu Boden.
In Schottland geht man mit Lebensmitteln auf eine ganz eigene Art um: Was auch nur im Entferntesten essbar ist, wird im Teig gewälzt und in die Fritteuse geworfen – ob Fisch, Schokoriegel, Haggis oder Speiseeis. Dieses Schicksal ereilte auch Colin, der in einer Imbissbude in East Kilbride durch eine ordentliche Portion Fett veredelt wurde.
Die ölige Zuckerraupe ist bei Kindergeburtstagen äußerst beliebt. Wer sagt denn, dass Kinder unbedingt das Rentenalter erreichen müssen? Der Nachbarsjunge und seine fünf Geburtstagsgäste waren aber auch mit der unfrittierten Raupe zufrieden. Was sie nicht wussten: Colin war in Wirklichkeit Cuthbert.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!