Die Wahrheit: Allein mit Nosferotz

Was geschieht wirklich in der häuslichen Abgeschiedenheit der Quarantäne? Und wer begegnet einem dort?

Illustration: Stephan Rürup

Als ich Nosferotz zum ersten Mal in meinem Kabäuschen begegnete, sah er recht jämmerlich aus. Seine Augen waren rot unterlaufen, seine Nase triefte und seine Zähne hätten dringend mal zum Arzt gemusst. Trotzdem nahm ich ihn mit aus der Abstellkammer in die Küche, denn das Mitleid hatte mich am Kragen gepackt.

Kaum dort angekommen, führte sich Nosferotz auf wie der letzte Asi. Als erstes zog er die Vorhänge zu. Außenwelt könne er nicht ertragen, sagte er. Dann nahm er mir meine Schlüssel ab, um sicherzugehen, dass auch ich nicht mehr hinaus konnte. Er sah sich in meiner Wohnung um und beschloss, ein Weilchen hierbleiben zu wollen. Dann forderte er Bier!

Gott sei Dank hatte ich noch ein paar Flaschen, aber die waren bald weg. Nosferatz soff wie ein Loch. Als das Bier alle war, fingen die Probleme an. Nosferotz wollte sich nicht mit Tee zufrieden geben. Unwirsch trank er auch noch die letzten Vorräte an Portwein, Champagner und Kräuterlikör. Dann hatte er Hunger. Ich kochte ihm Kartoffeln mit Gratin. Mies gelaunt schlang er alles in sich hinein. Die Nudeln konnte ich nicht mal kochen, Nosferotz riss sie mir aus den Händen und verschlang sie mit der Packung.

Spuren auf dem Spiegel

Dann wollte Nosferotz fernsehen. Ich hielt ihm zögerlich die Fernsehzeitung hin, doch Nosferotz wurde wütend. Ihm einen solchen Mist anzubieten, wäre ja eine Unverschämtheit, tobte er, und seine Augen wurden noch blutunterlaufener, seine Nase triefte wie ein Wasserfall und seine Zähne wurden fleckig. Außerdem krümmte er plötzlich seinen Rücken, seine Fingernägel schossen wie Pfeile aus seinen Händen heraus, und ich dachte nur: Gott sei Dank hat er Stiefel an! Denn seine nackten Füße wollte ich gerade wahrlich nicht sehen.

Dann musste er auf die Toilette. Er war noch nicht ganz im Badezimmer, als ich auch schon ein gigantisches Fluchen hörte. Irgendwas war offensichtlich mit meinem Spiegel nicht in Ordnung, da wären Zahnpastaspuren drauf, rief er aufgebracht, so etwas könne er gar nicht leiden.

Dann war eine Weile lang Ruhe. Ich wurde schon fast nervös. Seit ich Nosferotz aufgenommen hatte, war es noch keine Sekunde still um ihn geworden. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ich wusste es nicht.

Verschlüsselte Botschaften

Ich ließ meine Gedanken in Wellenlinien zurückschweifen. Was hatte ich eigentlich in dem eingangs erwähnten Kabäuschen, jener Kammer gesucht? Langsam stellte sich eine Erinnerung ein: Vor vielen Jahren hatte mir ein uralter Kaufmann auf einem Basar in Marrakesch hinter einem versteckten Vorhang einen Zettel zugesteckt, auf dem eine geheime Botschaft verzeichnet war. Aufgeregt kramte ich in meiner Jeans, die ich seit Marrakesch nicht mehr gewaschen hatte – und tatsächlich! Der Zettel war noch da! Aber die Notiz war in Hieroglyphen geschrieben, ich konnte die Botschaft nicht entziffern.

Schnell warf ich das Internet an. Nosferotz war noch im Bad, er hätte mir sicher nicht erlaubt, eine Suchmaschine zu benutzen. Aber hinter seinem gekrümmten Rücken kontaktierte ich schließlich per Telefon den führenden Experten für verschlüsselte Botschaften. Es dauerte zehn lange und unendlich erscheinende Sekunden, bis Professor Doktor Johannek den Anruf entgegennahm. Seine sonore Stimme beeindruckte mich. Ich konnte durch den Hörer fühlen, wie er sein Kinn walkte und seine Stirn in viele Falten legte. Bei ihm war ich richtig, das merkte ich sofort.

Ich beschrieb ihm die Hieroglyphen auf dem Zettel und merkte, wie dem gestandenen Wissenschaftler der Atem stockte. Dann hörte ich nur noch ein gequältes Stöhnen und wusste sofort, dass der Professor einem Herzinfarkt erlegen war. Mit seinem letzten Hauch flüsterte er: „Ein Kabäuschen, eine Kammer.“ Ich fühlte mich schuldig, aber durfte keine Zeit verlieren, die Nachricht war zu brisant.

Wie ein krankes Huhn

Nosferotz war mittlerweile aus dem Badezimmer zurückgekehrt und beschwerte sich darüber, dass das Wasser aus dem Wasserhahn floss, er könne fließende Gewässer nicht ausstehen. Ich verkniff mir eine freche Antwort, denn Nosferotz blickte sehr grimmig drein.

Nun wollte er Radio hören, doch alle Sender hatten ihren Betrieb eingestellt. Ich fürchtete Nosferotz' Zorn und begann zu singen, was ihn noch mehr auf die Palme brachte. Er fing an zu spucken und zu fauchen und gebärdete sich wie ein krankes Huhn. Dann begann er, mich ununterbrochen anzustarren und bösartig zu kichern, so als wüsste er etwas, was ich nicht wusste.

Jetzt hatte ich die Nase gestrichen voll und forderte ihn zitternd und bebend auf, meine Wohnung zu verlassen und wieder in sein Kabäuschen zu verschwinden. Er trollte sich, aber nicht ohne vorher meine gesamten Erbsensuppendosenvorräte unter lautem Geschrei aus dem Wohnzimmerfenster zu werfen. Noch Jahre später würden sich die Nachbarn über mich und meinen seltsamen Besucher die Mäuler zerreißen, das war mal sicher. Mir war das schnuppe, obwohl ich mich langsam fragte, ob ich jemals wieder unbeschwert einen Supermarkt betreten könnte.

Heute, Tage später, wache ich noch manchmal tief in der Nacht auf und denke an den entsetzlichen Nosferotz. Ich bin so froh, dass er endlich fort ist, doch ich hasse mich dafür, dass ich ihm nicht mindestens das Nasenbein gebrochen habe. Wirklich eine vertane Chance!

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