Die Wahrheit: Fragen zum Scheißprodukt

Sogar in der Jobhölle „Callcenter“ gibt es einen untersten Höllenkreis. Ein tiefer Einblick in den schluchtentiefen Abgrund der Arbeitswelt.

eine Illustration. Sie zeigt Native Americans, die über einen Abgrund hinweg, auf so etwas wie speiende Vulkane schauen

Illustration: Stephan Rürup

Das Telefon klingelt. Dirk möchte nicht rangehen. Er hat die Sorge, dass er diesmal nicht ernst bleiben kann, obwohl das seine wichtigste Aufgabe ist. Eisern Disziplin zeigen, hat sein Ausbilder im Test-Callcenter immer zu ihm gesagt. Den Kunden ernst nehmen mit seinem Anliegen, auch wenn man ihn für den größten Depp hält. Freunden erzählt Dirk, er arbeite als „Kundenberater“. Das beschreibt seinen Job am besten und sagt gleichzeitig so gut wie nichts aus.

Manchmal denkt Dirk, er hätte damals nie diese 0800-Nummer anrufen sollen. Es war ein spontaner Gedanke aus Jux und Tollerei. Dirk hatte einfach mal hören wollen, was die Berater erzählen, wenn man Fragen zum Produkt hat, um sich danach über die armen Schweine totlachen zu können. Vermutlich hatte Dirk aber zu interessiert oder zu seriös geklungen, denn irgendwann hatte sich das Telefonat zu einem Vorstellungsgespräch entwickelt – und nun saß er selbst im Callcenter.

Das Telefon klingelt erneut. Dirk seufzt und nimmt ab. „Kundenberatung, guten Tag. Sie sprechen mit Dirk. Womit kann ich Ihnen helfen?“ Bis hierhin, denkt Dirk oft, ist alles noch irgendwie normal. Gern würde er die Anrufer zu Computern und Spielkonsolen beraten. Aber das macht schon der Typ drei Tische weiter. Er wirkt entspannt, erzählt gerade einem Anrufer, warum man in dem neu erschienenen Ego-Shooter gegen eine fanatische Christen-Sekte kämpft. Er hat die Füße auf den Tisch gelegt und lacht manchmal auf. Offenbar verstehen sich die beiden.

Dirk arbeitet für eine große Supermarkt-Kette, ebenso wie die Frau neben ihm, die gerade auf Tinder Profile prüft. Sie wirkt gelangweilt. Ist es wegen Tinder oder wegen der Haushaltsreiniger? Sie berät Kunden zu Haushaltsreinigern. Wo man sie einsetzen darf und was man bei der Verwendung beachten muss. Sie hat den Tag über nicht viel zu tun. Die Leute haben nicht viele Fragen zu Haushaltsreinigern. Dirk lauscht der Stimme aus dem Hörer in seiner Hand.

„Guten Tag, hier spricht Krampitz aus Bernau. Ich habe vorhin mal nachgezählt. Mein Klopapier hat nur 143 Blatt und nicht 150 Blatt wie auf der Packung draufsteht.“

„Das ist produktionsbedingt, Herr Krampitz“, antwortet Dirk. „Die Angabe auf der Toilettenpapier Verpackung ist ein Richtwert. Manchmal sind die Produktionsmaschinen ungenau. Es gibt Fälle, wo sich durchaus auch mal 156 Blatt auf einer Rolle befinden können.“

„Ja, aber nicht bei mir. Das ist eine Unverschämtheit. Ich habe mich im Markt beschwert, aber da haben die mir einen Vogel gezeigt und gesagt, sie hätten andere Probleme. Dabei ist das eine wichtige Sache! Ich wurde betrogen und verlange Wiedergutmachung.“

„Ich werde mich darum kümmern, Herr Krampitz. Sie erhalten die Tage Post von mir. Auf Wiederhören.“

Die Anrufer wollen einfach nur Dampf ablassen

Dirk seufzt erneut. „Na, mal wieder so ein Irrer bei dir?“, fragt die Frau nebenan. Sie fragt das häufig. Dirk nickt. Dann steht er auf, geht auf die Toilette und reißt dort sieben Blatt von der Klopapierrolle.

Sein Chef hat gesagt, man solle die Sache vergessen, die Anrufer wollen einfach nur mal Dampf ablassen. Aber Dirk hat trotz allem das Bedürfnis, dem Kunden zu seinem Recht zu verhelfen. Er setzt sich an seinen Platz, holt einen Umschlag aus der Schublade hervor und schiebt vorsichtig die sieben Blatt in das Kuvert. Dann schreibt er säuberlich die Adresse von Herrn Krampitz drauf und bringt den Umschlag zum Postausgang.

Als er zurückkommt, klingelt das Telefon erneut. „Schmitzke am Apparat. Hören Sie, ich habe neulich gesehen, dass es auch blau gefärbtes Klopapier gibt. Warum gibt es kein braun gefärbtes? Das wäre doch mal nützlich. Dann sieht man die Scheiße nicht so.“

Die Deutschen wollen kein ­lustiges Klopapier

„Nun, Herr Schmitzke, das ist gewissermaßen eine Frage des Designs und der Farbgebung und wie die Kunden darauf reagieren. Weiß gilt als eine reine, saubere Farbe, wenn Sie so wollen. Daher wird es standardmäßig für die Herstellung von Toilettenpapier verwendet. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass es sich mit der Farbe Blau ähnlich verhält. Also positiv in der Wahrnehmung. Sie können sich vorstellen, dass es mit einer braunen Färbung anders ist. Da würden die Kunden beim Kauf etwas assoziieren, das vom Hersteller nicht gewünscht wird. Es gibt allerdings im Internet Anbieter, die braunes, schwarzes, grünes und blaues Toilettenpapier anbieten. Das blaue allerdings nicht in dezentem Labor-Blau, sondern in einem satten, fast schon grellen Blauton, der gewöhnungsbedürftig ist. So eine Art Knicklicht-Blau. Also, ich persönlich würde so etwas nie benutzen.“

Dirk stockt. Der Anrufer hat aufgelegt. Sonst hätte er ihm noch erzählt, dass die Supermarkt-Kette auch keine Rollen mit lustigen Sprüchen anbietet, weil nach einer Studie 97 Prozent der Deutschen keinen „zusätzlichen Unterhaltungswert“ bei der Wahl ihres Toilettenpapiers wünschen. Dirk hat das irgendwo gelesen und nicht vergessen.

Dirk schaut abermals neidisch zu dem Kollegen vom Bereich „Computer/Spielkonsolen“. Der telefoniert noch immer und preist gerade wortreich die Wirksamkeit verschiedener Waffentypen. Welche Wumme für welchen Gegner taugt und wo sich was finden lässt. Es ist herauszuhören, dass er selbst großen Spaß an dem Spiel hat.

Das Telefon klingelt wieder. „Hallo, Sylvia Klonk hier. Ich möchte mich beschweren. Mir ist aufgefallen, dass sich bei dem Toilettenpapier der Marke Sanftweich die Prägung verändert hat. Bis vor Kurzem lag der durchschnittliche Abstand zwischen den Prägestreifen bei 7 Millimeter, jetzt sind es nach meinem Messungen 8,2. Außerdem hat sich die Form der Prägung verändert. Früher war es ein Schlangenmuster, jetzt ist es ein Rautenmuster. Können Sie mir das erklären? Lässt sich das rückgängig machen? Mich stört das bei der Verwendung. Es gibt ein Konkurrenzprodukt bei einem anderen Markt, aber da möchte ich nicht hingehen, weil in der Nähe die Frida wohnt, mit der möchte ich nicht mehr reden. Aber die Frida geht immer da einkaufen.“

Dirk will etwas antworten, aber ihm fehlen die Worte. Er muss eigentlich nur irgendetwas erzählen und das Schlagwort „produktionsbedingt“ erwähnen. Das ist das Stichwort, das die Leute hören wollen, weil es alles erklärt und zugleich nichts. Dann denkt Dirk, dass er doch auch mal etwas Lustiges sagen könnte. Endlich mal. Ein kleiner Scherz. Oder er könnte der Anruferin raten, sich mit Frida zu versöhnen. Er könnte Nachbarschaftshilfe oder Seelsorge betreiben, irgendetwas Nützliches aus diesem Job ziehen. Aber er kriegt den Mund nicht auf. Dirk legt auf.

Er schaut zu den anderen beiden. Die Kollegin blättert in einer Illus­trierten. Er hat sie schon öfter gefragt, ob sie mal den Platz tauschen wollen. Ein bisschen Abwechslung in den Job bringen. Dirk würde sich auch schlaumachen über Haushaltsreiniger. Aber sie lehnt jedes Mal ab. Den Kollegen zu fragen, traut er sich nicht.

Dirk seufzt und holt sich einen Kaffee. Er lässt sich viel Zeit dabei. Drei Stunden noch, dann hat er Feierabend.

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