piwik no script img

Die WahrheitGehatet. Geshamt. Geshitstormt.

Was sind eigentlich YouTuber? Ein Erklärungsversuch nur für Erwachsene mit einigen herausragenden Beispielen.

Ein Battle zwischen YouTubern kann krass analog werden Foto: Reuters

Während am gestrigen Dienstag das EU-Parlament über eine Änderung des Urheberrechts abstimmte, protestierten noch einmal europaweit vor allem YouTuber gegen das geplante Gesetz, das ihrer Meinung nach einer Zensur Vorschub leisten würde. YouTuber?! Einem Erwachsenen muss man erst einmal erklären, was YouTuber sind – am besten an einem Ereignis, das sich neulich auf dem Berliner Alexanderplatz zutrug:

Die jugendlichen YouTuber Bahar und Bekir trafen sich zum „öffentlichen Chillen“ mit ihren jeweiligen Anhängern, die sich daraufhin eine Massenschlägerei lieferten. Der Anlass für den analogen Battle ist nicht völlig zweifelsfrei geklärt, aber ein dritter, unbeteiligter YouTuber soll wohl gedroht haben, wie der bei den Kids meinungsbildende Tagesspiegel im perfekt nachempfundenen Jugendjargon zu berichten weiß, „die Mutter seines Konkurrenten zu beleidigen“.

Früher hätten wir das einfach gemacht. Aber es geht eben immer noch eine Spur härter. Nach den Codes der Influencer ist die Androhung der Mutterbeleidigung die ehrabschneidenste Maßnahme überhaupt. Im Anschluss sinkt der fame um mindestens fünfzehn Prozentpunkte. (Für die medial Abgehängten: Fame ist eine Form von Bekanntheitsgrad, die sich aus nichts als sich selbst speist und reproduziert.)

Kein Beruf, kein Hobby

Doch was sind YouTuber überhaupt, und was machen sie? In den Medien wird gern so getan, als trügen die Racker irgendwas zum Gelingen unserer Gesellschaft bei. Dabei ist YouTuber kein Beruf und kein Sport, kein Hobby und keine Beschäftigung, ja noch nicht einmal eine Funktion. Sie säen nicht, sie ernten nicht und haben doch Follower.

Für die Senioren unter uns: Follower sind so eine Art Jünger. In ihrem Leben läuft sogar noch weniger als bei ihrem Heiland, weswegen sie dessen Kanal abonnieren. Bekir und Bahar berichten dort auf kurzen Clips von ihrem Alltag, der daraus besteht, auf kurzen Clips von ihrem Alltag zu berichten, der wiederum daraus besteht und so weiter. Davor kannte sie kein Schwein und wollte sie auch nicht kennenlernen. Jetzt haben sie Hunderttausende Fans. Und offenbar generieren sie irgendwie sogar Kohle damit oder zumindest fame.

Das Wirken des YouTubers ist den gehirnzellenstarken Jahrgängen in der Tat schwer zu vermitteln. Denn wir Alterchen sind noch mit klaren Kategorien wie gut oder böse, klug oder dumm, nützlich oder unnütz aufgewachsen. Der Bauer erntete das Korn, der Müller mahlte es und der Bäcker buk das Brot. Doch heute kann es sein, dass der Bäcker die Follower vom Müller mit ungeerntetem Korn bewirft, während der Bauer das alles filmt und online stellt. In der Folge hungern die Leute natürlich, aber Brot ist eh so 2018, #Breadvormkopf. Wir werden uns nicht nur daran gewöhnen müssen, dass jedes herkömmliche Maß in Auflösung begriffen ist, sondern auch, dass alles immer noch viel sinnbefreiter geht. Im Vergleich dazu würde man YouTuber auf einer Stufe mit Ärzte ohne Grenzen verorten.

Einatmen, ausatmen

So trafen sich kürzlich vor dem Frankfurter Römer zwei Top-Influencer der Atmer-Szene, Holger „Inhale Chicken“ Leimannsweber und Mahmood „Exhale Khan T.“ Schmitz. Jeder von ihnen hatte mehrere tausend schwer schnaufende Follower um sich versammelt. Vordergründig ging es bei dem Streit darum, ob Einatmen oder Ausatmen mehr credibility besitzt, doch die tiefere Ursache ist ein monatelanger öffentlicher Streit der beiden breather, der schließlich in einer Videobotschaft von Inhale Chicken gipfelte, in der er ankündigte, seinem Kontrahenten die Luft aus den Stützrädern zu lassen. Und zwar direkt vor dem Haus seiner Großeltern.

Vor dieser Drohkulisse musste die Angelegenheit unweigerlich eskalieren, sonst hätte Exhale Khan T. vor seinen Followern das Gesicht verloren. Die verfeindeten Lager beleidigten einander zunächst quer über den Römerberg hinweg als „Unholde“, „Laffen“ oder „Spitzbuben“, um sich dann mit Dominosteinen und Fruchtzwergen zu bewerfen. Die Schlacht dauerte mehrere Stunden.

Der hinzukommende counterpart von Inhale Chicken und Exhale Khan T., „Grand Master Hold Breath“ hatte im Anschluss leichtes Spiel, die geschwächten Follower für sein Projekt abzuschöpfen, und war somit der lachende Dritte. Inhale und Exhale verloren je neunzig Prozent ihrer Crowd, wurden nach Strich und Faden geshamt, geshitstormt, gehatet und durften sich wieder ganz hinten anstellen.

Während man von Leimannsweber anschließend nie wieder etwas gehört hat, ist Schmitz mittlerweile immerhin schon wieder Vizeklassensprecher seiner 7b. Von da aus sind es nur noch wenige Schritte zurück zum fame. Doch diesmal will er die Schläfer-Szene aufmischen, von den Atmern hat er für alle Zeiten genug.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "geshamed" meinetwegen mit "t", aber ganz bestimmt nicht ohne "e". (to) "sham" bedeutet etwas Anderes.

    #SeriousIssues

    • @Snip Snap:

      Solange alle deutschen Legastheniker 'googeln' anstatt 'googlen' schreiben, geschenkt. Dann lieber konsequent als 'gugeln' eindeutschen.

    • @Snip Snap:

      Danke & Liggers - Uli halt! Newahr.



      Normal.

      • @Lowandorder:

        Shame on him, gel? Und zwar mit mindestens einem "e".