Die Wahrheit: Weiter, immer weiter

Schreibt hier der Restaurantblockwart des Jahres? Soviel steht fest: Dank Klimawandel kann der Deutsche schon im Januar im Freien dinieren.

Minus mal minus ergibt plus, lautet eine alte Mathematikerweisheit. Weihnachten mal Urlaub müsste also … Hm, Moment, nee, warte mal, wo ist denn Lena, war die nicht eben noch …? Los, wir müssen los, wo sind meine Schuhe, ist doch egal, wer hat den Schlüssel, der Tisch ist reserviert, hast du Geld, wieso ich schon wieder. Und immer so weiter.

Zwischen Weihnachten und Neujahr auf einer überfüllten Nordseeinsel. Ob die Urlauber oder die Einheimischen den Stresstest zwischen den Jahren gewinnen werden?

Wir beobachten eine Familie auf der Strandpromenade. „Wollen wir mal weiter?“, fragt der Mann, der schon ein bisschen vorausgegangen ist. „Weiter?“, fragt die Frau zurück, „wie – weiter? Wohin weiter?“ – „Na ja, eben weiter?“ – „Was willst du denn jetzt machen?“, fragt die Frau in einem Tonfall, der mit passiv-aggressiv nur unzureichend beschrieben ist. Dem Familienvater dämmert, dass Kneifen keine Option ist: „Wir könnten doch nach Westen an den Strand fahren.“ – „Ach, wir könnten jetzt mit dem Auto nach Westen fahren, um am Strand spazieren zu gehen, obwohl wir auch genau hier am Strand spazieren gehen könnten?“

Nach einem längeren, nicht zu leisen Hin und Her ­erfahren wir, dass die Frau lieber mit den Kindern auf den Spielplatz möchte. Leider kann sie das nicht verbalisieren, ohne den Mann, den sie mal geheiratet hat, wie einen kompletten Idioten aussehen zu lassen. Urlaub kann so unglaublich anstrengend sein.

Wenn vier Urlauber fünf haben, wie viele Sessel sind dann frei?

Nächster Tag, selbe Stelle. Vier Urlauber mit fünf Hunden stürzen auf einen freien Terrassentisch mit zwei Sesseln. Dank Klimawandel kann der Deutsche ja inzwischen auch im Januar draußen sitzen. Da hat er ein Recht drauf! Ein dritter Sessel vom Nebentisch muss dazu, mitten in den Weg. Drei setzen sich, die Vierte lässt sich daneben auf den Boden in einen schmalen Durchgang fallen.

Zwei Kinder spielen in der Nähe Ball. „Kinder würde ich gern mal erschießen“, sagt der eine Hundebesitzer, die anderen lachen zufrieden. Der Kellner kommt und bittet die Frau, vom Boden aufzustehen, weil er sonst nicht servieren könne.

„Kellner würde ich auch gern erschießen“, sagt der Mann. Die Frau schnaubt, sie würde sich ja sehr wohl lieber auf einen Stuhl setzen, schließlich bezahle sie hier was. Sie sieht den Kellner herausfordernd an. Kann er vielleicht mal einen Stuhl herbeizaubern? Nö, kann er nicht. Da fläzt sie sich wieder hin, bis die nächste Kellnerin kommt und sie ermahnt. „Jetzt gibt es kein Trinkgeld!“, posaunt der Gruppenchef, daheim gewiss ein kleines Licht, unterwegs aber die tolle Großfresse, die mal eben drei Euro einbehält. Das ist Macht pur!

„Äh, wollen wir mal weiter?“, fragt mich der Liebste, der ahnt, dass ich mich gleich in eine adrenalinbetriebene Oberhexe verwandeln werde und dann wieder zum Restaurantblockwart des Jahres gewählt werde. – Ja, klar, weiter. Nein. Moment! Wie? Weiter? Wohin weiter?

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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