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Die WahrheitLiebesspiel mit krummen Haken

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (66): Heute geht es um den Warzenbeißer – er beißt gern und heftig und killt so manche Warze …

Den Warzen eins geigen: Die Spezies der Heuschrecken ist darin ganz, ganz groß Foto: Reuters

Der Warzenbeißer gehört zu den Heuschrecken. Und er sieht auch so aus. Sein Name rührt daher, dass seine Verdauungssäfte gut gegen Warzen sind und man ihn deswegen in die Warzen reinbeißen lässt. Das hilft bisweilen. Aber um Warzen loszuwerden, hilft so manches, es kommen immer neue Medikamente auf den Markt. Warzen sind gutartige Geschwulste der oberen Hautschicht, die wahrscheinlich von einem Virus herrühren, der durch Kontakt übertragen wird.

Der Dichter und Hautarzt Gottfried Benn, der viele Warzenpatienten hatte, hat an diesen Geschwulsten 1931 den Animismus der Heilung diskutiert – in seinem Aufsatz „Irrationalismus und moderne Medizin“. Ein Jugendlicher mit vielen Warzen an beiden Händen, ein „Warzenjüngling“, kommt: Der Arzt ätzt sie mit Salpetersäure an einer Hand weg, sagt aber – wider besseres Wissen: „Dann verschwinden auch die anderen alle mit.“ Und sie sind nach einige Tagen tatsächlich weg.

Der Arzt treibt die „Magie“ beim nächsten Patienten noch weiter: Zeichnet die Umrisse der Hände auf einem Stück Papier nach, trägt mit Punkten die Warzen darauf ein, verbindet dem Patienten die Augen, reibt mit einem Stäbchen die Warzen und sagt: „Sie werden verschwinden.“ Und das tun sie tatsächlich. Bei hartnäckigen Fällen verlangt er eine Fotografie von den Händen.

Ein andermal legt er die Hände auf einen elektrischen Apparat, dieser überträgt aber keinen Strom, sondern nur das Geräusch auf die Hände. Dann nimmt er dem Patienten die Augenbinde ab. „In jedem Fall, so Benn, „verschwinden die Warzen. 90 Prozent Heilungen“ – und im Gegensatz zum Verätzen: „Heilung ohne Narben. Also Warzen, pathologisch festumrissenes Gebilde, hundertfach mikroskopiert, verschwinden auf Zureden. Ganz offenbar ist der Mensch etwas völlig anderes, als meine Wissenschaft es mich lehrte.“ Die Warzenheilung geht aufs Ganze.

Der flüchtige Körper

Benn kommt ins Grübeln: „Der Körper ist offenbar etwas Flüchtiges, nicht der chemisch-physikalische Morast des 19. Jahrhunderts mit den Absätzen des Positivismus im Gesicht, sondern er ist nichts als ein inneres Prinzip, und wenn man daran rührt, bewegt sich alles.“ Dazu braucht es nur das „geeignete Wort“. Das kann auch von einem Schamanen oder einem Zauberer kommen – mit irgendeinem Tanz. „Er muß nur an dies innere Prinzip rühren, an dies Herz aus Seele. Offenbar ist der Mensch etwas viel, viel Primitiveres, als die intellektuelle Clique des Abendlandes behauptet.“

Benn sieht darin die Möglichkeit einer Überwindung des „verrotteten Nützlichkeitspositivismus, der Kraft- und Stoffperiode des Darwinschen Zeitalters, wenn da nicht wieder ein neuer Trick, neue Mode, neue Strömung, neues Palaver – ein Geschäft daraus wird“. Er ist sich sicher: „Durch die ganze Natur zieht sich das Warzenmotiv.“

Warzen weghypnotisieren

Noch 50 Jahre später gaben die Warzen auch dem US-Mediziner Lewis Thomas zu denken: „Man kann Warzen weghypnotisieren“, schreibt er in seinem Buch „Die Meduse und die Schnecke“ (1981). Diese Besonderheit der Warzen ist „eigentlich weit überraschender als Klonen oder rekombinante DNS oder Endorphine oder Akupunktur oder sonst etwas, das jetzt die Spalten der Presse füllt.“

Der US-Mediziner bleibt aber wissenschaftlich: „Die Psyche kann doch wohl nicht sagen: geht weg. Sie muß irgendwie spezifizieren, wie das bewerkstelligt werden soll.“ Er ist über diese „unbewußte Intelligenz, die weiß, wie man Warzen loswird“, und die wahrscheinlich auch in ihm ist, „beunruhigt“. Am Schluss seiner Überlegungen siegt aber doch der eingefleischte „Nützlichkeitspositivismus“, der Benn 1931 so beunruhigt hat: „Die Sache wäre einen Warzenkrieg wert, einen Sieg über die Warze, ein National-Institut für Warzen und dergleichen“, schreibt er in seinem Buch über die „Mysterien von Mensch und Tier“.

Er tröstet sich damit auf eine Art, wie sie neuerdings auch der Berater von Biotech-Unternehmen, William Bains, in der US-Zeitschrift Nature Biotechnology offeriert: „Ein Gen, ein Enzym ist zum Slogan der Industrie geworden. Kann das alles so falsch sein? Ich glaube schon, aber ich bin sicher, das macht nichts. Denn die Hauptsache ist, dass es funktioniert. Wir müssen nicht das Wesen der Erkenntnis verstehen, um die Werkzeuge zu erkennen. Inzwischen führen die Genom-Datenbanken, die geklonten Proteine und anderes Zubehör der funktionalen Genetik zu Werkzeugen, Produkten, Einsichten, Karrieren und Optionen an der Börse für uns alle.“

Immerhin – an der fortschrittlichen Berliner Charité arbeitet inzwischen eine „Warzenbesprecherin“. Doch zurück zum Warzenbeißer: Für den Insektenforscher Jean-Henri Fabre war diese Heuschrecke „als Sänger wie als Insekt von stattlichem Aussehen“. Er gründete in seinem Arbeitszimmer eine ganze „Warzenbeißer-Me­nagerie“, die er mit Samen und Feldheuschrecken fütterte. Weil der Warzenbeißer Letztere vertilgt, ist er dem Landwirt nützlich.

Des Warzenbeißers Liebesspiel

Der Warzenbeißer beißt gern und heftig. Fabre züchtete ihn, um sein Verhalten kennen zu lernen. Erst einmal das Liebesspiel: „Das Männchen liegt unten, niedergeworfen auf den Sand“, das Weibchen umklammert ihn und drückt ihn zu Boden. „Die Leibesenden beider krümmen sich zu einem Haken, suchen einander, verbinden sich.“ Schließlich presst das Männchen ein großes Samenpaket aus, dass an der Legeröhre des Weibchens kleben bleibt. Sie nimmt es, knetet es durch und „verschlingt es restlos“. Ist der Samen also „an sein Ziel gelangt, wird diese vielleicht kräftigende Speise verschluckt“. Das Männchen stirbt einige Zeit danach. Dann frisst das Weibchen auch noch seine „besten Stücke“ auf.

Anschließend sucht es einen passenden Flecken Erde, in das es seinen Legestachel bohrt, um darin die Eier abzulegen. Mit dem Legestachel klopft es danach auch die Bohrlöcher wieder zu. Nach acht Monaten und wenn der Boden durchfeuchtet ist, kommen die Warzenbeißer in ihrer noch „jugendlichen Form“ ans Licht, viele schaffen es jedoch nicht nach oben.

Fabre widmete sich danach den Warzenbeißergesängen. Sie und andere Heuschreckenartigen sind „Linkshänder – sie tragen ihren gezahnten Bogen an der Unterseite des linken Deckflügels, der den rechten mit der Trommel überlappt“. Bei der kräftiger tönenden Weinberg-Sattelschrecke, einer Verwandten, sind die Flügel verkümmert: „Um besser zirpen zu können, verzichtet das Insekt auf den Flug.“ Alle Achtung!

Insgesamt lässt sich sagen: „Die Heuschreckenartigen drängt es zum Jubel.“ Der Insektenforscher kommt dann vom Jubelgesang auf die „Theorie vom Fortschritt“ zu sprechen, die er einen „großartigen Schwindel“ findet. Gemeint ist die Darwinsche Evolutionstheorie, gegen die er in seinen „Erinnerungen eines Insektenforschers“ immer wieder neue Argumente anführt. Darwin, der mit Fabre korrespondierte, hat ihm das aber nicht übel genommen. Er schätzte ihn weiter wegen seiner gründlichen Beobachtungen.

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