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Die WahrheitScootermans Irrfahrt

Kolumne
von Knud Kohr

Wenn die Multiple Sklerose heimtückisch ihre Chance zur Verwirrung nutzt, können aus harmlosen Ausflügen wahre Odysseen werden.

W ohin geht es diesmal? Als treue Beifahrer des Scooterman können Sie natürlich das Westberliner Dreieck zwischen Schlossparkklinik, S-Bahnhof Charlottenburg und U-Bahnhof Mierendorffplatz auch mitten in der Nacht zeichnen. Dachte sich Ihr Scooterman schon. Per Lastenaufzug begleiteten Sie ihn aber auch schon in die Berliner Kabarettanstalt, die sich in der fünften Etage direkt über dem U-Bahnhof Mehringdamm in Kreuzberg befindet.

Gehört jemand unter ihnen zu den Fans der ersten Stunde? Waren Sie schon dabei, als Scooterman, damals noch mit seinen Nordic-Walking-Stöcken, die Berliner Hochbunker erkundete? Oder sich in einen alten Rosinenbomber stützen ließ?

Tatsächlich wartete die Idee für ein neues Ziel jetzt mit übereinandergeschlagenen Beinen an Scootermans Tür. Vor einiger Zeit rezensierte der das Buch „Der alte König in seinem Exil“. In dem schildert der österreichische Romancier Arno Geiger die tödlich endende Demenzerkrankung seines Vaters. Diese Art Demenz ist zugegebenermaßen eine schwerere Erkrankung als die Multiple Sklerose, die seit nunmehr 16 Jahren ihre Angriffe auf die Beweglichkeit, aber auch die kognitiven Fähigkeiten des Scooterman ausführt.

Schon vor einigen Wochen berichtete Scooterman, dass er am Wochenende gern durch den Schlosspark von Charlottenburg fährt. Ein Schloss gibt es auch in Cuxhaven, wo der Scooterman vor 52 Jahren geboren wurde. Nur dass es dort eben Schloss Ritzebüttel heißt, und man gleich hinter dem Schlossgraben scharf rechts einschlagen muss. Und nicht hinter der Spree, die wenige Dutzend Meter entfernt von der barrierefreien Wohnung des Scooterman fließt. Dass man im Schloss Ritzebüttel am selben Tisch sitzen kann wie vor 600 Jahren Klaus Störtebeker, hat der Scooterman vor einiger Zeit ja ebenfalls hier erwähnt. Als es nämlich noch zehn Grad wärmer war, und der Scooterman an dieser Stelle allerdings deutlich blöder zwischen den Ohren.

Doch um weiterhin Abenteuer für seine Beifahrer zu erleben, scheint es zwingend notwendig, den eigenen Balkon nicht mehr zu sehen. Irgendwo drei Querstraßen oder 300 Meter weiter entfernt lauert das Abenteuer. Biegen Sie einfach mehrfach nach links ab. Überqueren Sie mindestens ein Gewässer. Oder besser noch drei. Denn wahrscheinlich haben Sie schon einmal gehört, dass Berlin mehr Brücken hat als Venedig?

Obwohl: Scheinbar hat ziemlich jedes Kaff mehr Brücken als Venedig. Doch der Scooterman schweift ab. Jedenfalls ist er am letzten Sonntag so oft abgebogen, bis seine Multiple Sklerose die unerwartete Chance ergriff. Als er dann den Scooter ratlos an den Straßenrand fuhr, hätte er noch die Stadt nennen können, durch die er gerade stromerte. Vielleicht noch den Stadtteil, also Charlottenburg. Sicherheitshalber gab er gleich wieder Strom. Eine halbe Stunde später erreichte er die Spreebrücke, hinter der er wohnt. Und ließ wenig später den Tag auf seinem Balkon ausklingen.

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