piwik no script img

Die WahrheitVerschleiert mit dem Burkardt

Ein Besuch bei der ersten weiblich sanften faschistischen Führerin. Sie nennt sich selbst „Die Hitlerin“ und steht zu ihren Schwächen.

Illustration: Stephan Rürup

Populismus ist in. Aber die neuen Autokraten – Orbán, Erdoğan, Söderan – haben ein gravierendes Styling-Problem: Sie sind Männer. Immer mehr Wählerinnen mit Lust auf ein bisschen Diktatur fragen sich: Warum nicht mal ’ne Frau?

Wir sind zum Hausbesuch geladen bei Leonore Bartz im schönen hessischen Ober-Mörlen. Sie will die nächste Herrscherin Deutschlands werden, und sie nennt sich selbst: „die Hitlerin“. Denn sie steht für einen weiblichen, sanften Faschismus und für selbstgemachten Rührkuchen.

Wir sind auf der Hut. Inszenierung und Manipulation liegen nahe, wenn eine Politikerin ausgewählte Reporter in ihr privates „Reich“ vorlässt. Wird sie eine schwarze Hausangestellte haben, um zu demonstrieren, dass sie keine Rassistin ist? Wird sie mit einem Röhmrad vorfahren?

Die auffallend kleine, energische Mittvierzigerin mit dem frechen Kurzhaarschnitt, den jetzt so viele ihrer AnhängerInnen tragen, empfängt uns mit einem offenen Lächeln. Sie strahlt nichts von der Verkniffenheit aus, die manche Passagen ihres programmatischen Buchs „Meine Krampfadern“ prägt. Beim Betreten des mit zeitlosen Eichenmöbeln eingerichteten Wohnzimmers fallen uns die Deckchen auf dem Couchtisch ins Auge: chinesische Seide mit arisierter Borte. Darauf ein geschmackvolles Schälchen mit der ultraangesagten Nascherei: dem Germanikuss – jetzt mit noch weißerer Schokolade für süßen Genuss ohne braune Flecken!

Auf dem Tisch liegt ihr neuestes Buch: „Nette Hassreden für private und geschäftliche Feiern“. Ein kleiner Leitfaden für ihre Fans, die sie teilweise regelrecht anhimmlern. Gute Umgangsformen seien ihr sehr wichtig, erklärt sie. Bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf Faschbook kämen nur klimaneutrale Nebelkerzen zum Einsatz. Und sie möge die schönen Dinge. Deshalb orientiere sie sich auch an Diktatoren der siebziger Jahre wie Imelda Marcos, Bokassa oder Idi Amin. Die hätten noch ein Gefühl gehabt für echten Prunk. Ihr hätten Herrscher im Hermelinmantel jedenfalls immer mehr imponiert als verkniffene Männer in Uniform.

Laternenumzug für die Familie

Wir gehen gleich in medias res: „Wie, Frau Hitlerin, stellen Sie sich Deutschland in fünfzehn Jahren vor?“ Die künftige Herrscherin Europas entwickelt sogleich begeistert ihre Vision: Das Zieldatum für Ihre Ernennung durch Präsident Gauland ist selbstverständlich der 30. Januar 2033. Wegen der Temperaturen findet der Laternenumzug für die ganze Familie in der Reichstagskuppel statt. Freiwillige Helfer schieben begeistert die vielen gerührten No-Go-Arier, die wie Gauland im Rollstuhl sitzen. Draußen vor dem Reichstag jubeln Hunderttausende der neuen Führerin zu – sie alle sind plötzlich ihre Fans. „Selbstbräuner“ nennt die Hitlerin sie verächtlich. Speichel­lecker mag sie nur, wenn sie ihnen wirklich vertrauen kann.

Wir fragen, was sie in den berühmten ersten hundert Tagen in Angriff nehmen will. Beim Wort „Angriff“ zuckt die PR-Frau kurz zusammen, aber dann zählt die Hitlerin souverän einiges auf: Als Erstes wird für alle Innenräume eine Temperatur von 23 Grad vorgeschrieben. Es muss Schluss sein damit, dass Frauen ständig frieren! Die Arbeitslosigkeit werde sie durch den Bau von einer Million Schuhfabriken beseitigen. Und es wird nur noch Autofabriken geben, in denen rote Autos gebaut werden. Femina-Faschismus bedeute überdies ein Verschleierungsgebot auch für muslimische Männer: Sie werden den Burkardt tragen müssen.

Die deutsche Fahne wird erstens besser gebügelt und trägt zweitens den Wappenspruch „Nicht nur sauber, sondern rein“. Erstklässler kommen in die Waffel-SS. Zu passive Kinder bekommen Hitlerin®, den neuen Aufputscher. Heranwachsende leisten ein Jahr Putzdienst in der Organisation „Kraft durch Feudel“. Außerdem wird das Strafrecht verschärft: Auf das Unterbrechen einer Frau stehen zwei Jahre Stuhlkreis bei den Anonymen Männern. Ohne Bewährung.

Das Postgeheimnis gilt weiter – außer die Frau will unbedingt wissen, was in einem Brief oder einer Mail steht. Der Zeitschriftenmarkt wird gleichgeschaltet: Es gibt nur noch die Eva, die Landserlust und für den Klatsch Die Braune. Neue Nationalfeiertage werden Fasching und die Fashion Week. Der deutsche Gruß lautet künftig: „Ewig Eva!“ Der demografische Niedergang des deutschen Volkes wird mit der „Brut-und-Hoden-Ideologie“ gestoppt. Und diesmal sind die Männer dran: Das Vaterkreuz und der Titel „Verdienter Zuchthengst des Volkes“ belohnen zeugungsfreudige Volksgenossen.

Fanatismus gegen Blinker

Ein wenig Fanatismus flackert auf, als wir wissen wollen, was sie am meisten stört am gegenwärtigen System. „Vor allem das überholte System von ‚Rechts‘ und ‚Links‘. Sobald ich an der Macht bin, werden Frauen nicht mehr grübeln müssen, welcher Blinker im Auto welche Richtung anzeigt. Man sieht doch, wohin es fährt.“

Es folgt eine heikle, mutige Frage: Diktatoren einen ihr Volk meist, indem sie einen gemeinsamen Feind benennen. Wer wird das bei Ihnen sein, Frau Hitlerin? Die Antwort der zweimal Geschiedenen kommt schnell und knapp: „Das werden EhebrecherInnen sein. Die werden ein Zwangstattoo auf der Stirn tragen mit dem Satz ‚Meine Schande heißt Untreue‘. Mit einer S-Rune durch ein Herz.“

Nächste tollkühne Frage aus dem Geist des kritischen Journalismus: „DiktatorInnen müssen ihr Volk auch mal bestrafen – vor allem ihre GegnerInnen. Was planen Sie hier?“ Hier zögert sie leicht: „Eins vorweg – von Lagern halte ich nichts. Zu viel Unordnung und Unzucht. Meine Gegner – ich gehe davon aus, dass das nur Männer sind – werden vor allem durch unfaire, personalisierte Outfit-Kritik auf Faschbook bloßgestellt. Und wenn das Volk murrt oder aufmuckt, werde ich eingeschnappt sein und es durch Schweigen bestrafen. Das Volk wird zittern vor diesen ‚Braunschweig-Wochen‘ und sehnsüchtig auf die nächste Führerinnenrede warten, weil alles besser ist als dieses grausame Schweigen.“ Ihre Augen blitzen bei diesen Worten. Die Frau meint es wirklich ernst.

Abschließende Frage: „Was wünschen Sie sich für sich persönlich, Frau Hitlerin, wenn Sie die totale Macht haben?“ Die künftige Diktatorin lächelt zum ersten Mal heute und gesteht schließlich, wovon sie heimlich träumt: von der größten Parklücke der Welt. Sympathisch ehrlich steht sie zu ihren Schwächen. Ihre Vision für alle Frauen ist ihr jedoch wichtiger: Das Frauenhofer-Institut soll eine Technologie entwickeln, die die Wünsche von Frauen direkt in die Hirne von Männern überträgt. Allerdings ist die Hitlerin Realistin: Auch Frauen würden wohl oft überrascht sein von den Ergebnissen.

Nach zwei wie im Rausch verbrachten Stunden sind wir entlassen. Wir prüfen uns und finden: Wir sind nicht manipuliert worden. Sondern die Frau hat es echt drauf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Und wenn das ganze Land dann mit leeren Nagellackflaschen und buntverschmierten Wattepads vollgeschmissen ist, haben wir alle von nichts gewusst und waren schon immer dagegen...