Die Wahrheit: Sie sind so bunt wie graue Mäuse
Reichtum ohne Gier: Auf dem Gründungskonvent der linken Sammelbewegung landet Sahra Wagenknecht sicher mit dem Privathubschrauber.
Liegt es am eingefleischten Atheismus der Linken? Petrus spielt jedenfalls nicht mit an diesem Sonntag: Der Himmel ist bedeckt und kühler Nieselregen fällt, während in Plauen im Vogtland die Gründungsversammlung der neuen linken Sammlungsbewegung für Deutschland stattfindet. Lange wurde vorab über den Namen der Bewegung diskutiert, der erste Vorschlag „#fairLand“ von der Begründerin Sahra Wagenknecht als zu undeutsch verworfen. Nun hat man sich geeinigt: „PaLi“. Dr. Dieter Dehm, der erste Sprecher der Organisation, erläutert die Namensgebung: „Wir hoffen, als Patriotische Linke alle Menschen anzusprechen, die sich der Linken zugehörig fühlen. Selbst solche, die solange nach links marschiert sind, bis sie ganz rechts wieder auftauchten.“
Der Altmarkt von Plauen ist mit Metallgittern abgesperrt, um die Gründungsversammlung zu schützen. „Wir müssen vorsichtig sein“, erklärt ein Mitarbeiter der Firma „Sächsische Security“. „Linksradikale Störer haben sich angekündigt.“
Am Einlass werden besonders junge Menschen mit bunten Haaren und schwarzer Kleidung streng auf versteckte Torten untersucht. Der Andrang ist beachtlich. Und das Publikum durchaus gemischt. Nicht nur frustrierte alte Männer aus Sachsen haben sich eingefunden, angereist sind auch viele frustrierte alte Männer aus Mecklenburg und Niederbayern – ein Querschnitt der deutschen Bevölkerung. Keineswegs sind, wie von Gegnern der Bewegung spöttisch vorhergesagt, nur Weiße anwesend: Die Hautfarbe der meisten Besucher changiert zwischen beige und grau.
Kultur und so Zeug
Die Besucher sind bester Laune. Kein Wunder, denn auch für das leibliche Wohl ist gesorgt: An Ständen kann man Bier, Hirschbraten und Eichelsalat aus garantiert deutscher Produktion erwerben. Ein muskulöser Mann mit Kurzhaarschnitt erklärt sich bereit zum Gespräch. Gelegentlich kratzt er sich am Oberarm unter dem Heftpflaster, mit dem er sich das Hakenkreuz abgeklebt hat. „Ich konnte bislang mit Linken nicht so viel anfangen“, gesteht er offenherzig. „Aber jetzt, wo es ab sofort hauptsächlich darum gehen soll, uns vor Fremdarbeitern und Asylbetrügern zu schützen, will ich mir das mal ansehen. Es wird doch wirklich Zeit, dass mal was für unsere eigenen Leute getan wird! Auch wegen dem Erhalt von Kultur und solchem Zeug.“
Nicht weit von ihm entfernt wartet ein schmaler junger Mann, der seinen Kopf mit einem Hut aus Aluminium vor dem Regen schützt. „Mir gefällt am meisten, dass Sahra Wagenknecht den Mut hat, die Umtriebe der Finanzlobby zu entlarven! Wer traut sich denn sonst noch, offen zu sagen, dass diese Rothschilds wahre Brunnenvergifter sind? Niemand! Wer weiß, wie lange sie Sahra das noch durchgehen lassen … die Zionisten haben ja so ihre Methoden!“ Nun betritt Jakob Augstein die Bühne, der Moderator des Abends. „Ich bin so froh, dass wir heute hier zusammengefunden haben! Ich bin froh, dass ihr euch unsere Bewegung nicht habt madig machen lassen von Miesepetern und Spaltpilzen, die nichts Besseres zu tun hatten, als auf objektive Widersprüche hinzuweisen!“ Applaus erschallt aus den Reihen der Zuhörer.
„Wir sind eine bunte Truppe – so bunt, wie das linke Leben in Deutschland ist, Alt und Jung, Frau und Mann, Kartoffeln und Migranten, Kosmopoliten und Kommunitaristen.“ Bei den Worten „Migranten“ und „Kosmopoliten“ erschallen aus dem Publikum Buhrufe. „Na wie auch immer, nehmt euch bitte am Ende bei den Ausgängen noch möglichst viele Exemplare meiner Zeitung, der Freitag, mit. Sie sind auch umsonst! Und jetzt freut euch, bevor unsere Sahra selbst die Bühne betritt, auf unseren Gastredner!“
Gaudi mit Gauweiler
Augstein übergibt das Mikrofon an Peter Gauweiler. „Ihr fragt’s euch jetzt bestimmt, warum grad ich jetzt hier red. Aber ich fand schon Sahras letztes Buch ‚Reichtum ohne Gier‘ so gut geschrieben! Wie ausgezeichnet sich das gelesen hat, von einer Linken zu hören, dass die Europäische Union abgeschafft werden muss, die Grenzen geschlossen und der kulturell und sprachlich homogene Nationalstaat erhalten! Dass sie daneben auch noch a bisserl den Finanzkapitalismus kritisieren musste, ja mei, das fand ich net so schlimm. Gegen die Marktwirtschaft hat die Sarah ja gar nix. Es geht ihr doch in Wahrheit um die Suche nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, wie unserm Ludwig Erhard!“
Die versammelten Linken reagieren wohlwollend, doch erste Sprechchöre verlangen nach dem Star des Abends. Und da landet direkt neben der Bühne auch tatsächlich der Privathubschrauber, dem Sahra Wagenknecht entsteigt. Sie steigt winkend auf die Bühne, tritt unter dem frenetischen Jubel der Anwesenden lächelnd ans Mikrofon und setzt zum Sprechen an – als plötzlich ein Blitz in die Bühne einschlägt! Die Bühne fängt sofort Feuer, sämtliche elektrischen Leitungen sprühen Funken und das Publikum rennt panisch in wilder Flucht auseinander.
Später, in Sicherheit, werden einige Besucher schwören, der Blitz sei von einem älteren Herrn mit Rauschebart geschleudert worden, der auf einer Wolke gesessen und äußerst zornig auf das Geschehen herabgeschaut habe.
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