Die Wahrheit: Blaubeermatschige Arschbanane
Für Melancholiker, Weltverneiner, Arschlöcher: Das neue Feelbad-Magazin „Grimme“ erobert rasant den deutschen Zeitschriftenmarkt.
Jetzt also die Neon. Das ehrwürdige Lifestyle-Magazin für die postpubertäre Generation wird im Juli eingestellt. Existenzielle Fragen wie „Kennst du zu viele Leute?“ oder „Sex mit deinem besten Freund?“ müssen sich die unbedarften Mittzwanziger wieder allein beantworten.
Die Neon-Pleite ist jedoch nur eine von vielen: Der deutsche Zeitschriftenmarkt liegt am Boden. Eine ganze Branche steht vor dem Aus. Ab dem Jahr 2030, so Spiegel-Chef Brinkbäumer, gibt es weltweit keine einzige Zeitschrift mehr, außer dem Spiegel und der Dogs Today.
Mutige Neuerscheinungen gibt es kaum. Nur ab und an eine unmutige, und immer mit „Feelgood“-Profil. Fröhlich, heimelig, weichgezeichnet kommen diese neuen Totgeburten der deutschen Printwelt daher. So wie das hygge-Magazin, seit letztem Sommer auf dem Markt. „Hygge“ heißt auf Dänisch: gemütlich. „Wir feiern das neue Miteinander, genießen Selbstgemachtes, spüren das gute Gefühl von Geborgenheit und Glück!“, posaunt die zuständige Gruner+Jahr-Redaktion heraus, die übrigens komplett undänisch besetzt ist.
Bei hygge geht es um all das, was schön ist: Ein schöner Kakao bei Kerzenschein, ein Picknick im – jetzt kommt’s – Sommer oder lachende Blondschöpfe mit Blaubeerschnuten, aus deren Mundwinkeln selbstgebackene Zimtsterne quillen.
Coverboy Söder
„Min gud, diese handgequirlte Blaubeerscheiße kauft doch kein Mensch“, sagte die dänische Medienforscherin Inger Nielsen bereits im letzten Herbst voraus, und so kam es. Auch hygge steht vor dem Aus. Doch: Die Konkurrenz schläft nicht. Seit zwei Wochen gibt es ein neues Magazin, diesmal aus dem Hause Hubert Burda Media. Auch dieses Blatt ist dänisch inspiriert. Es heißt Grimme, zu Deutsch: hässlich. Grimme ist alles, was unschön und eklig, abstoßend und unangenehm ist. Auf dem Cover prangt das Konterfei von Markus Söder. Das allein würde bereits reichen, doch dem Bayern steckt in jedem Nasenloch als i-Tüpfelchen noch ein gammliges Mohrrübchen. „Für 25.000 Euro Tagesgage mach ich alles“, ließ Söder verkünden.
Thematisch ist Grimme enorm. Da ist der Tatsachenbericht „Alles, was beim Picknick schiefgehen kann“, bebildert mit ausgelaufenen O-Saft-Gläsern, Müsli mit Taubenkacke, Wichsflecken auf der Isodecke und Ameisenarmeen in der Hose. Auch nicht viel angenehmer: Die Reportage „Handicap: Leben mit Familie“ oder „Durchfall. Alles, was man wissen muss“ mit ganzseitigen, tiefenscharfen Fotos. Denn: In Grimme ist alles unansehnlich, außer der Fotoqualität, da ließ sich der Verlag nicht lumpen. Am schönsten: die vierfarbige Fotostrecke „Achselpilz in Sachsen-Anhalt“. Astrein auch der Erlebnisbericht „Ein Abend mit Gästen“, dessen Tipps am Ende („Gäste ausladen – so geht’s!“) zum Nachmachen animieren.
Ein Highlight in der Heftmitte ist das Interview mit den beiden Top-Misanthropen Gudrun Pausewang und Wolfgang Schäuble. Die namhaften Knatterer diskutieren wortreich über das Ende des Humanismus und der Welt im Allgemeinen, über Popelmännchen und Würmer im Darm, wobei man einander notorisch beleidigt und an Weltuntergangsvisionen überbietet, am Ende jedoch die 90-jährige Grande Dame der Apokalypse als argumentative Siegerin hervorgeht.
Magazin für Arschlöcher
„Hej, niemand will Menschen beim fröhlichen Spaßhaben oder Schlemmen im klimaneutralen Sommerhäuschen zusehen“, sagt Jacob Kierkegaard, der für die Blattgründung extra als Chef aus Kopenhagen angeheuert wurde. „Wir hingegen spiegeln das Lebensgefühl vieler Bürger wieder. Melancholiker, Weltverneiner, Arschlöcher, Fatalisten wie du und ich – da ist für jeden was dabei!“ Der Erfolg gibt ihm recht. Von der Erstauflage, 350.000 Stück, sind bereits 346.798 Exemplare verkauft. Vor allem im Emsland und in Vorpommern betteln die Leser um Nachschub.
Satte 130 Seiten ist Grimme stark. Volle acht Seiten nimmt allein das „Trendthema Tod“ ein, mit dem Do-it-yourself-Leitfaden „So machst du dein Testament“ und dem philosophisch grundierten Essay „Geburt – der Anfang vom Ende“. Grimme trifft den Nerv der Zeit, etwa mit dem mitreißenden Plädoyer: „Raus aus der Natur“ und der Extrabeilage für Literaturfreunde: „Wiederentdeckt: Noch traurigere Märchen von Hans Christian Andersen!“
„Zunächst sollte das Magazin ja ‚røvbanan‘ heißen“, verrät uns der Chefredakteur, „das heißt auf Deutsch ‚Arschbanane‘ und ist ein beliebtes dänisches Schimpfwort. Aber so mutig war der Burda-Konzern dann doch nicht. Stattdessen haben wir eine gleichnamige Rubrik eingeführt, bei der unsere Leserinnen und Leser ausdrucksstarke, rektale Staudenfrucht-Selfies einschicken können!“
Auf Trittbrettfahrer muss der deutsche Zeitschriftenmarkt übrigens nicht lang warten: Der Misanthrop, Miesepetra oder, für die kleinen Grantler, Grummelino sind bereits in Planung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten