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Die WahrheitGoldene Irrtümer

Ein Brief aus Gold, besetzt mit taubenblutroten Rubinen, verstaut in einem ausgehöhlten Elefantenstoßzahn. Was lernt die Wissenschaft daraus?

V or Kurzem kam ich wieder zum Einsatz in meiner Eigenschaft als diplomierter Fachmann für Irrtümer und Missverständnisse. Bekanntlich zählen zu diesem Forschungsfeld häufig Hürden in der Wunderwelt des sprachlichen Austauschs. Folgende, über Jahrhunderte währende Geschichte gehört unbedingt dazu.

Ich habe mir in der niedersächsischen Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek die Ausstellung über den Goldenen Brief angeguckt, den der birmanische König Alaungphaya im Mai 1756 an den britischen, aus Hannover stammenden König Georg II. losgeschickt hatte. Anlass für die Botschaft war ein Detail im globalen Handel der konkurrierenden Ostindischen Kompanien und entsprechende geopolitische und militärische Interessen. Es drehte sich um – Überraschung! – Geschäfte mit Rohstoffen und Waffen.

Golden? Ja. Der Brief ist auf reinem Gold geschrieben, besetzt mit taubenblutroten Rubinen, aufgerollt und derart verstaut in einem ausgehöhlten Elefantenstoßzahn. Vor mehr als 260 Jahren also machte er sich auf eine über 20.000 Kilometer lange Reise von Birma (heute Myanmar) nach London. Er brauchte fast zwei Jahre dafür. So golden der Brief war, blieb er doch unbeantwortet und wurde „nahezu unbeachtet“ weiter geleitet in die Königliche Bibliothek nach Hannover.

Wo steckt nun das Missverständnis? Als der Goldene Brief in Hannover eintrifft, fehlt die ursprünglich beigefügte Übersetzung ins Englische. Der ministeriellen Zuweisung des Geheimen Rates Gerlach Arnold von Münchhausen(!), die dem Goldenen Brief beigelegt ist, entspringt das Missverständnis.

Datiert auf den 28. März 1758, schreibt er, der Brief stamme von einem „independenten Indianischen Könige auf der Küste von Coromandel […] der von der Religion der Magi, oder Gebres sey, welche nichts, was Leben hat, eßen, und das Feuer anbeten“. Der Brief wird in das Kuriositätenkabinett der Bibliothek geräumt, schlummert dort bis in die 1980er Jahren, als dem indischen Botschafter der Brief präsentiert wird: Er grübelt und grübelt, kann die Schriftzeichen aber keiner ihm bekannten indischen Schrift zuordnen.

Erst Mitte der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts nimmt sich der Historiker Jacques P. Leider der Sache an. Er konnte nachweisen, „dass es sich um das verschollen geglaubte Original eines in der Forschung zwar bekannten, aber nicht ausreichend gewürdigten Briefes handelt“.

Zweierlei Ereignisse seien hier noch erwähnt. Nicht nur, dass der „Lügenbaron“ Münchhausen seinem Onkel zu dessen fantastischem Coup ganz herzlich gratulierte. Sondern auch, dass 2015 Myanmar, Großbritannien und Deutschland gemeinsam für den Goldenen Brief einen Platz in der Liste des Weltdokumentenerbes errungen haben.

Was lernen Forschung und Lehre aus der güldenen Postaffäre? Sie illustriert nur neuerlich die längst bekannte Erkenntnis, wie oft doch der aktuelle Stand des Irrtums befördert wird.

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