Die Wahrheit: Onnea satavuotiaalle Suomelle
Herzlichen Glückwunsch, Suomi. Finnland feiert seinen 100. Geburtstag. Ein Rundblick über ein Land der stillen Merkwürdigkeiten.
„Rentier, Elche, Sauna, See / Dunkle Winter voller Schnee / wenig Menschen und kein Wein / Da wirst du wohl in Finnland sein.“ Das waren die ersten Sätze, die ein junger deutscher Dichter vor Jahren schrieb, als er in Lahti erstmals am Ufer des Vesijärvi entlangwanderte, im Uhrzeigersinn vorbei an den drei majestätischen Skisprungschanzen. Diese Schanzen werden jetzt im Winter von allen Finnen benutzt für die alltäglichen Besorgungen, Post, Einkauf und anderes, denn wie sonst sollte man hier in dieser Jahreszeit von Station zu Station kommen.
Finnland liegt schon seit Oktober unter einer meterdicken Schneedecke, die erst im April langsam wieder zu tauen beginnt. Unter dieser Decke aber ist emsiges Leben. Gerade jetzt. Denn Finnland bereitet sich auf die größte Feier aller Zeiten vor, das Land wird 100 Jahre alt. Am 6. Dezember 1917 erklärte das finnische Parlament im Nachgang der russischen Oktoberrevolution die Unabhängigkeit von Russland, zu dem es da gerade gehörte.
Und seither geht hier alles seinen gewohnten finnischen Gang: Saunen brodeln, Glöggi gluckert und Rentierschinken werden vom Finnen verspeist, als würde Obelix ein Wildschwein happsen. Auf zugefrorenen Seen und Flüssen brausen die Finnen auf dem legendären Winterreifen „Nokian Hakkapeliitta“ herum. Benannt ist er nach den mythischen finnischen Reitertruppen, die im Dreißigjährigen Krieg für Schweden kämpften, den „Hakkapeliitta“, und bis heute feuern die Fans das finnische Fußballnationalteam an mit „hakkaa päälle, hakkaa päälle“ – hau drauf!
Bescheidene Riesenfeier
Der Finne ist gerade im Vorfeld der Riesenfeier absolut großartig und trotzdem komplett bescheiden, selbst der größte Finne in Deutschland, der Popstar Samu Haber, macht sich gern klein und fragt bei der Casting-Sendung „Voice of Germany“ höflich ins Geplänkel: „Darf der Finne auch mal etwas sagen?“
Eigentlich weiß man wenig über die Finnen. Viele, nicht nur weit südlich siedelnde Spanier, auch nah dran wohnende Dänen glauben, Finnland sei schon dicht an der Arktis, fragen nach Eisbären und Pinguinen, was nebeneinander sowieso völliger Quatsch ist. Der Polarkreis bei Rovaniemi ist weit, weit entfernt von Arktis und Pol. Die Sami, die Ureinwohner in Finnlands Norden, in Lappland, müssen den vielen angereisten Japanern, aber auch manchem Sommermenschen aus Helsinki erklären, dass sie nicht im Iglu leben und dass Rentiere keine Elche sind.
Aber jeder Finne weiß: Der Joulupukki, der Weihnachtsmann, lebt auf dem Korvatunturi, dem Ohrenberg, wo seine Weihnachtstonttus, also die Weihnachtswichtel, Geschenke basteln oder aber mit Überwachungsaufgaben beschäftigt sind. Denn hier ist auch die erste, dienstälteste und gleichzeitig effektivste Abhörstation der Welt. Die CIA, der MI6, der BND oder auch die finnische Supo selber, die Suojelupoliisi, können dagegen allesamt einpacken. Hier wird weltweit gelauscht, ob die Kinder brav gewesen sind. Über die Ergebnisse wird dort oben im Norden Finnlands gewissenhaft Buch geführt, und die Kids können dann unterm Gabentisch die Ergebnisse der Überwachung suchen gehen.
Eigenes Einzigartiges
Der Joulupukki hat seine Firmenniederlassung (finnisch: Oy) allerdings in Rovaniemi, wo sich bis zum 2. Juli 2013 dazu noch Europas nördlichster McDonald’s befand. Am nämlichen Tage eröffnete dann aber eine russische Filiale in Murmansk am Kolski Prospekt 101. Egal, Finnland hat genügend eigenes Einzigartiges.
Finnland hat in seinen hundert Jahren Unfassbares hervorgebracht: den Schrei-Chor Mieskuoro Huutajat oder Apocalyptica, die Metallica auf dem Violoncello spielen. Jukka Ammondt, eigentlich Literaturprofessor, singt finnische Tangos und Elvis auf Latein und bekam dafür eine Ehrung vom Vatikan wegen seiner Verdienste um die lateinische Sprache. Aki Kaurismäki schenkt der Welt mit seiner einzigartigen Bildsprache wunderbarste Filme, oft komisch, aber immer berührend.
Und der Finne macht vor nichts halt. In seinem Reisepass läuft ein Elch als Daumenkino. Die Finnen sind nicht umsonst führend im Ersinnen unnützer Weltmeisterschaften und dominieren diese Wettbewerbe zugleich. Die Weltrekorde im Gummistiefelweitwurf halten bei beiden Geschlechtern selbstverständlich Finnen. Die auch das Frauenwetttragen und die Luftgitarren-WM in Oulu erfunden haben. Ihr Ziel, sagen die Veranstalter, sei der Weltfrieden, „denn wer eine Luftgitarre in Händen hält, kann keine Waffe tragen“.
Weltmeister im Stromverbrauch
Aber – niemand ist vollkommen, und wo im Sommer so viel Licht ist, da muss ja auch ein Schatten sein: die Atomkraft. Der Finne kann es nicht lassen, obwohl der Bau des letzten Kernkraftwerks – Olkiluoto Block III – ein Desaster war, das Berliner Flughafen-Ausmaße hat. Atom wegen Strom, sagen sie, denn sie haben einen elendig hohen Stromverbrauch. Leider ist auch hier der Finne Weltmeister in Europa.
Dieses Finnland, Heimat der Tonttus und Mumins, der Lordis und Habers, feiert nun 100 Jahre Staatsjubiläum. Nach Jahrhunderten unter schwedischer, dann noch mal hundert Jahren unter russischer Herrschaft konnten die Finnen endlich einen autonomen Staat gründen, ihren eigenen Kopf hatten sie da längst. Als eigenständige Provinz beschlossen sie schon im Jahr 1906 als erstes europäisches Land das Frauenwahlrecht! Somit gibt es noch ein Jubiläum – 111 Jahre Frauenwahlrecht. Nomma Onnea. Glückwunsch.
Also Finnland – voran! Und jetzt wird gefeiert. Ein finnisches Sprichwort lautet: „Man ist nicht zu betrunken, solange man auf dem Boden liegen kann, ohne sich festzuhalten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland