Die Wahrheit: Schwein mit Lippenstift
Neues aus Neuseeland: Während des Wahlkampfes in Aotearoa sind einige Politiker ganz wundersam in der Versenkung verschwunden.
W ahrscheinlich hat’s im deutschen Wahlkampf niemand mitbekommen, aber wir führen gerade auch einen. Ja, Zufälle gibt’s: Wir wählen sogar fast am selben Tag. Im Gegensatz zum Bratwurstland ist in Kiwi Country eigentlich schon klar, wer am Wochenende gewinnen wird – wenn uns kein Schwein beißt, das Lippenstift trägt.
Aber keine voreiligen Prognosen. Denn was in Aotearoa im August passiert ist, hatte auch niemand vorhersehen können: Drei SpitzenpolitikerInnen verschwanden plötzlich von der Bühne. Ein Erdrutsch mit Shitstorm, wie ihn das politisch eher schläfrige Neuseeland noch nicht erlebt hat. Angefangen hatte es mit Meteria Turei an der Spitze der Grünen.
Turei ist Maori-Vorzeigefrau mit untypischer Geschichte: ohne Schulabschluss, junge Alleinerziehende, Küchenhilfe – trotzdem brachte sie es zum vollendeten Jurastudium. Ein „working class hero“. Im Juli beichtete sie dann plötzlich eine Jugendsünde. Als sie in den Neunzigern Sozialhilfe kassierte, machte sie falsche Angaben über ihre Wohnsituation, um finanziell über die Runden zu kommen. Für viele wurde sie damit zur Märtyrerin.
Doch es kam noch etwas nach. Meteria Turei hatte sich damals auch noch unter einer falschen Adresse angemeldet, um den Wahlkreis zu wechseln. Das war dann selbst ihrer Partei zu viel. Tureis Schummelvita zwang sie zum Rücktritt, die Grünen sackten auf ein historisches Tief. Nebenbei schmiss Peter Dunne das Handtuch – mit 33 Dienstjahren Neuseelands zähester Politiker und Kopf der Minipartei United Future.
Als das Wahlchaos fast perfekt war, ging die größte Bombe hoch: Andrew Little, farbloser Spitzenkandidat der Labour-Partei, warf einen Blick auf die desaströsen Umfragen und haute anderthalb Monate vor der Wahl in den Sack. Und damit brach in Aotearoa „Jacindamania“ aus: Auftritt von Jacinda Ardern, gerade mal 37 und nebenbei DJ. Quasi über Nacht wurde sie das neue Fräuleinwunder der Linken, wenn man das überhaupt noch so nennen darf.
Was man Frauen in der Politik aber ganz sicher nicht mehr stellen sollte, ist die Babyfrage. Als Ardern in ihrem ersten TV-Interview vom Moderator gefragt wurde, ob sie vielleicht im Amt schwanger werden könnte, kanzelte sie den Mann so souverän ab, dass ihr alle Frauenherzen zuflogen. Plötzlich wurde der tranige Wahlkampf wieder sexy. Arderns Freund gab ein spaßiges Radiointerview mit umgekehrter Rollenverteilung, in dem er sich den typischen Fragen an Politikergattinnen zu Hobbys und Frisör stellte.
Jeder Hype hat seinen Spielverderber: Gareth Morgan, philantropischer Millionär, der mit seiner pragmatischen Opportunities Party den Grünen ernsthaft Konkurrenz macht, erlaubte sich einen Fauxpas. Jacinda Ardern sei nichts anderes als „lipstick on a pig“: das rostige Schiff „Labour“ mit hellem Anstrich. Auf Deutsch hätte man es „Zuckerguss auf der Scheiße“ genannt, was für Gareth Morgan besser gewesen wäre. Jetzt steht er wegen des Lippenstift-Bonmots als Sexist da.
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