Die Wahrheit: Mein Zorro
Sogar von außen waren Kinos in Kindertagen verheißungsvolle Orte. Doch wer die ersehnten Filme schauen wollte, musste die magische Zwölf überschritten haben.
A ls ich zum ersten Mal allein ins Kino gehen wollte, war ich wohl neun oder zehn Jahre alt. Ich wohnte damals in Münster und das prachtvolle Kino namens Residenztheater residierte nur zwei Häuser weiter.
Das war für mich ein Kino, das seinesgleichen suchte, denn ich hatte noch nie ein anderes Kino gesehen. Von außen nicht und schon gar nicht von innen. Ich spazierte gern an den Schaufenstern entlang, in denen Bilder der aktuellen Filmen ausgestellt waren. Manchmal war ich wirklich schockiert: Da war zum Beispiel ein Mann, der mit den Händen an einen Lastwagen genagelt war, und er war nicht Jesus. Oder auch ein fliegender Junge mit Kindern im Schlepptau. Von dem fliegenden Jungen weiß ich heute, dass es Peter Pan war, wer der angenagelte Mann war, hab ich nicht herausgefunden.
Irgendwann aber traf mich der Schlag mit der Peitsche! Ein maskierter Mann, den ich schon aus dem Fernsehen kannte, prangte nun plötzlich als Bild im Schaufenster und sollte bald als Film ins Kino kommen: Zorro! Freigegeben ab zwölf. Zorro! Ab zwölf!
In unserem schwarzweißen Minifernseher zu Hause lief manchmal eine Serie, in der auch Zorro vorkam. Mein erster Superheld! Er hatte eine Maske, eine Peitsche, einen Hut und einen wehenden Umhang! Und dann noch dieses tolle Pferd!
Alle anderen Superhelden, die ich kannte, waren nur enttäuschende Blender, die von anderen Planeten kamen und von sonst woher ihre Superkräfte hatten. Superman hatte ja eigentlich gar nichts geleistet. Batman hatte so viel Geld, dass er eigentlich gar keine Superkräfte brauchte. Aber Zorro brauchte erst recht keine Superkräfte, er war ein maskierter Spitzbube, der ein „Z“ mit seiner Peitsche überall hinschlagen konnte. Der war echt toll! Zorro! Im Residenztheater. Ab zwölf!
Und ich war erst neun oder zehn. Was tun? Ab sofort schwänzte ich hin und wieder die Schule und spazierte tagelang am Kino hin und her und jubilierte dabei: „Wie gut, dass ich schon zwölf bin! Wie gut, dass ich schon zwölf bin!“
Irgendwann fiel ich wohl einem Kinotechniker auf, den ich bis heute liebevoll „Kinokameradreher“ nenne, und der nahm mich heimlich mit in eine neue große Welt. Er hatte einen Schnurrbart im Gesicht und Turnschuhe an den Füßen. Er zeigte mir, wie man mit diversen Knöpfen den riesigen goldenen Vorhang hochzog und herunterließ, wie man die Scheinwerfer bediente und was es mit den Filmrollen in den Schränken voller blecherner runder Büchsen auf sich hatte. Ich durfte durch die Vorführmaschine gucken, er lachte über die Eisverkäufer und wir freuten uns über die Reklame, die er abspielte. Und vor allem durfte ich Zorro von oben sehen.
Heute ist im damaligen Residenztheater ein Supermarkt, aber immer, wenn ich daran vorbeikomme, singe ich leise in Gedanken vor mich hin: „Wie gut, dass ich schon zwölf bin! Wie gut, dass ich schon zwölf bin!“. Und ich denke dabei heimlich an Zorro und den Kinokameradreher.
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