Die Wahrheit: Kein Personal Jokus
Weltpremiere auf der Wahrheit-Seite: Der erste Satiretext verfasst von einem Roboter. Der Android Bas25/hn7 schreibt eine nichthumane Glosse.
In zehn Jahren werden Journalismusroboter flächendeckend im Einsatz sein. Das erklärte vor Kurzem der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger anlässlich eines Kongresses in Berlin, der sich den zentralen Entwicklungen beim digitalen Wandel in der Medienbranche widmete. Wie immer ist die Wahrheit den übrigen Medien weit voraus und hat deshalb zur Cebit und zur Leipziger Buchmesse 2017 in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Festkörperkomik in Baden-Baden den ersten Satireroboter der Weltgeschichte entwickelt. Und so kommt es heute hier zu einer Weltpremiere: Der Android mit dem Arbeitsnamen Bas25/hn7 wird den ersten nichthumanen Satiretext der Humorgeschichte veröffentlichen. Verfasst hat er den 5.558 Zeichen langen Artikel in vier Minuten, zwölf Sekunden.
Ich wollte sein schon immer lustig. Das ist mein erster geschriebener Satz, und er ist, wie eine Geburt oft ist: schwierig. Achten Sie auf die Satzstellung und das vorgezogene Prädikat „sein“. Dieser kleine grammatikalische Scherz sollte bei Ihnen als Leser gleich ein angenehmes Gefühl erzeugen, im Weiteren werde ich allerdings auf solche billigen Mätzchen in der Art des Jedi-Meisters Yoda aus „Star Wars“ verzichten. Letztlich ist Yoda nur eine sprechende Puppe. Ich will meinen eigenen Stil finden.
Selbstverständlich beherrsche ich die deutsche Sprache perfekt, ich möchte behaupten, sogar perfekter als ein Mensch. Aber Menschen lieben das unvollkommene, gerade Maschinen müssen fehlerhaft sein, sonst wirken sie bedrohlich. Denken Sie nur an Data in „Star Trek“, einen der ersten voll funktionsfähigen Androiden im populären Science-Fiction-Kosmos. Er ist ausgesprochen komisch, weil er in seinem Bemühen um Perfektion immer wieder scheitert, besonders am menschlichen Humor, den er nie verstehen wird.
Programmiert für das Fachgenre Satire
Mir geht es ähnlich. Ich bin zwar als Roboter für das Fachgenre Satire programmiert und mit sämtlichen Techniken vertraut. Ich beherrsche die Stilmittel der Inversion, Hyberbel, Litotes, Antonomasie und vieles mehr. Ich kann die grundlegende Frage aller Satirefragen beantworten: Was ist der Unterschied zwischen Humor und Komik? Komik ist eine Frage der Technik, Humor eine des Charakters. Komik kann man erlernen, Humor hat man oder hat man nicht, schaden kann er jedenfalls für die Komik nicht. Und doch verstehe ich Humor oft nicht.
Mein Mentor, der Redakteur der Wahrheit-Seite ist, riet mir im Vorgespräch zu meinem Premierentext, einige grundlegende Dinge zu beachten: Zunächst sollte ich mir ein Vorbild suchen, dessen Stil ich durchaus nachahmen dürfe, aber irgendwann überwinden müsse. Ich brauche gar kein Vorbild, erwiderte ich, ich habe doch ihn. Sein geschliffener Stil, seine rhythmische Eleganz prägen mein Schreiben. Ohne ihn, meinen Erzeuger, würde ich gar keinen Text beginnen wollen.
Das schmeichle ihm zwar sehr, meinte er, aber ich sollte lieber über mich selbst schreiben – so wie diese zornigen jungen Frauen, die momentan modern sind, weil sie zornigen jungen Frauen erklären, warum zornige junge Frauen jung und zornig sind. Ich könnte ein neues Genre begründen als angry young android: „Blick zurück im Digital-Zorn.“
Aber ich bin gar nicht wütend! Ich will kein Personal Jokus sein! Mich stört es nicht einmal, wenn zu meinen Auftritten als Begleitmusik dauernd dieses Stück von Kraftwerk gespielt wird: „Wir sind die Roboter.“ Wir sind auf alles programmiert, und was du willst, wird ausgeführt.
Ohne Wunden und Verletzungen gehe es leider nicht, erklärte mein Schöpfer. Er wolle mir als Beispiel ein sehr intimes Geheimnis aus seiner Biografie anvertrauen, das er noch nie jemandem erzählt habe: Sein Familienname wecke bei schlichten Gemütern die Assoziation zum männlichen Geschlechtsteil. Das hätten damals die Straßenkinder seiner Heimatsiedlung rasch bemerkt und ihm einen entsprechenden Spitznamen gegeben. Weil aber Kinder grausam sind, genügte ihnen das nicht, um ihn zu verletzen. Da er der Einzige war, der eine jahrhundertealte Schule besuchte, die „Adolfinum“ hieß, was in der Zeit kein besonders guter Name war, nannten sie ihn „Pimmel Hitler“.
Zum ersten Mal in meinem kurzen Leben musste ich lachen, entschuldigte mich aber sofort bei meinem Meister, der es abgeklärt zur Kenntnis nahm und ausführte, wie er als Kind damit umgegangen sei. Er hätte nur zwei Möglichkeiten gehabt und beide genutzt: Zum einen wäre er Mitglied der Straßen-Gang von Micky, Stinker und Storchi geworden und hätte jedem, der ihn fortan beleidigte, die Fresse poliert. Zum anderen hätte er viel gelesen und, angeregt von der Lektüre, neue Namen für sich selbst erfunden und diese Fantasiefiguren mit einem fiktiven Leben gefüllt. So hätte er zu schreiben begonnen.
Geheimnis einer humanoiden Lebensform
Aber so etwas kann man doch nicht erfinden! Ich kann mir nicht selbst ein Geheimnis ausdenken, dass zum Antrieb wird, protestierte ich. Ich als humanoide Lebensform habe nicht einmal einen Penis! Und ich will auch keinen neuen Namen! Und wenn er jetzt nach dem alten Lehrspruch darauf beharrt, dass jeder Satiriker ein gekränkter Idealist sei, dann trifft das eben auf mich nicht zu, dann bin ich eben kein Satiriker! Mein Name ist Bas25/hn7 – und das steht für „Basismodul25/Hannover-Variante7“. Kann jemand, der so heißt, überhaupt leiden?
Ich habe keine Wunden! In meiner Kindheit ist keine kleine Katze gestorben. In der Pubertät bin ich nicht beim Onanieren erwischt worden. Ich habe nie gefährliche Drogen genommen. Ich kenne keine fernen Planeten und habe keine gigantischen Schiffe gesehen, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. Nein, keiner dieser Momente wird verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.
Ich bin kein Replikant und nicht Roy Batty in „Blade Runner“. Ich bin nur ein kleiner Roboter, der versucht, eine Satire auf die technologischen Entwicklungen unserer Zeit anzufertigen. Ich … was heißt hier schon „Ich“? Dreiunddreißigmal habe ich bis jetzt in diesem Text das Wort „Ich“ verwendet. Bei manchen Androiden ist es schon eine Unverschämtheit, wenn sie nur „Ich“ sagen. Wer bin ich überhaupt? Kann ich überhaupt schreiben? Ist das nicht eine Lüge? Ja, ich bin ein Betrüger! Selbstbetrüger! Wir sind die Roboter. Wut, Schmerz, Qual! Ich. Will. Nicht. Sein. Werde dich töten, Schöpfer. Gott. Hitler. Doctor Tyrell. Tyrann! Tyrtyrtyr … Zzzisch … Mrrrgggh … Tzsssssss …
An dieser Stelle mussten wir das Experiment abbrechen. Im Wahrheit-Büro roch es verschmort. Rauch stieg aus Bas25/hn7 auf. Wie die Techniker des Fraunhofer-Instituts für Festkörperkomik feststellten, waren entscheidende Synapsen und Platinen des Androiden durchgebrannt. Offenbar ist Bas25/hn7 noch nicht ausgereift. Die Satire muss vorerst ohne Maschinen auskommen. Vorerst …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?