Die Wahrheit: Sandwich im Glas
Neues aus Neuseeland: Nach Jahren einer dunklen Ernährungsvergangenheit boomt auch in Aotearoa die hohe Koch- und Futterkunst.
D er Polenfeldzug war nüscht gegen den Einmarsch der Deutschen, den ich gerade hinter mir habe. „The Beez“ aus Berlin haben auf ihrer Tournee bei uns genächtigt und ihre angedrohte „German Kitchen Invasion“ wahrgemacht, vor der selbst Kühlschränke erzittern. Viele Stunden und noch mehr Flaschen Wein währte der kulinarische Blitzkrieg der Musiker rund um unseren Gasherd. Von den resultierenden Köstlichkeiten zehre ich noch immer.
Kulinarisch bin ich nichts mehr gewohnt, seit ich mich im Land niedergelassen habe, dessen Dauerbestseller das „Edmond’s Cookbook“ ist. Dieses Standardwerk für Scones- und Pie-Bäcker ist jedoch harmlos gegen den Kiwi-Klassiker „Helpful Hints for Homemakers“ aus dem Jahre 1932. Darin wird Kohl 90 Minuten zu Tode gekocht. Der Rest – wie „gefälschte Austernsuppe“ ohne eine einzige Auster – weckt auch wenig Hoffnung auf Essbares.
Aber was lästere ich – das ist alles dunkle Vergangenheit. An der unsrigen wollen wir Deutschen ja auch nicht immer gemessen werden. Die achtziger Jahre brachten Neuseeland dann mit einem Jahrzehnt Verspätung endlich Pasta, Pizza und Tacos, filmisch begleitet von einem Mexico-meets-Maori-Kochvideo mit dem damals noch unbekannten Schauspieler Temuera Morrison („Once were Warriors“). Diese Ära der kruden Ethno-Küche ist längst vorbei. Spätestens seit den ersten Folgen der Kochsendung „Masterchef“ sind alle Kiwis frisch bekehrte Foodies. Auch Maori können sich dem „fusion cooking“ nicht entziehen: Im Hiakai Restaurant gibt es neuerdings „Tuatua mit Kawakawa-Beeren-Mignonette“, bei der Konkurrenz Crème brûlée aus Pohutukawa.
Als Wiedergutmachung für all die ungesühnten Küchengräuel aus dem vorigen Jahrhundert steigt dieses Wochenende in Wellington das jährliche „Wine & Food Festival“. Dort wird kein Trend ausgelassen. Der letzte, der uns heimsuchte, war die Renaissance des Butterbrots. Ein Sandwich – laut dem Wall Street Journal „Englands größter Beitrag zur Gastronomie“ – bedeutete traditionell zwei weiße Lappen, die sich „Brot“ nannten, zwischen denen, in Mayonnaise gebettet, ein rosa Lappen ruhte, der sich „Schinken“ nannte. Die andere Variante war Erdnussbutter mit Gelee oder Marmite.
Alles vorbei. Jetzt werden Türme im amerikanischen Diner-Stil aus Edelzutaten wie fermentierter Rote Beete und Büffelkäse gebaut, dazu Vollkornbrot, das nur noch Banausen auf der hinterletzten Schaffarm als „komprimiertes Müsli“ verhöhnen. Der Earl of Sandwich, nachdem das Gericht einst benannt wurde, dreht sich wahrscheinlich im Grabe um. Aber wir Europäer sind happy.
Bleibt nur die Sorge, dass man es in all dem gastronomischen Überschwang zu weit treibt. Voll hip ist zum Beispiel die Masche, aus alten Marmeladengläsern zu trinken. Smoothies – okay. Aber nicht alles, was da reinpasst, gehört in ein Schraubglas. Wenn ich irgendwo ein Sandwich im Glas entdecke, dann ist Schluss. Dann schicke ich „The Beez“ als Sturmtruppe los.
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