Die Wahrheit: Viel Beben ums Denkmal
Neues aus Neuseeland: Justin Trudeau sollte mal gucken, wie man so richtig gedenkt. Mit einer Spielwiese für Künstler.
S chön, dass Justin Trudeau vorige Woche in Berlin das Holocaust-Denkmal besucht hat. Vielleicht kommt der Kanadier dann auch mal zu uns auf Besuch? Es muss ja nicht immer Berlin sein. Christchurch hat bald genauso viel Kontroversen rund um seine Gedenkstätten zu bieten. Zwar keinen Schocker wie den „Yolocaust“, aber dafür jahrelangen Aufruhr um angeblich entartete Kunst.
Der tragische Anlass unseres Erinnerns jährte sich am 22. Februar: Vor sechs Jahren legte ein Erdbeben mittags binnen Minuten die zweitgrößte Stadt Neuseelands in Schutt. 185 Menschen starben, 115 davon unter den eingestürzten Stockwerken des Senders CTV.
Das Trauma sitzt noch immer tief – verarbeitet in Filmen, Büchern und Songs. Auch Neuseelands Künstler hatten eine neue Spielwiese, um Abrissflächen mit Form und Farbe zu füllen. Oder mit Betroffenheit.
Gestern wurde in Christchurch das 11 Millionen Dollar teure Erdbeben-Mahnmal enthüllt: eine Marmorwand, auf der die Namen aller Opfer eingraviert sind. Entworfen wurde es vom Slowenen Grega Vezjak, der den Amerikanern demnächst ein Vietnam-Denkmal in Kentucky bastelt.
Tote in Ortsgruppen
Da viele der Toten aus anderen Ländern stammen, wollte man sie nicht einfach alphabetisch auflisten – in der Schrift der Thai ist das zum Beispiel recht schwierig. Die Toten wurden lieber in Ortsgruppen verewigt, wie die Ärztin und die Patientin, die nebeneinander starben.
Der Künstler Peter Majendie stellte kurz nach der Katastrophe 185 weiß angemalte Stühle gegenüber dem ehemaligen CTV-Gebäude auf. Jeder steht für einen Toten, vom Schaukelstuhl bis zum Babystühlchen.
Touristen bleiben davor stehen und werden ganz still, bevor sie weiter zur „Cardboard Cathedral“ laufen. Das ist die moderne Kathedrale aus Pappröhren, die jedem Beben standhält. Ein ganzer „Art Trail“ zieht sich mittlerweile durch die halb aufgebaute Innenstadt.
Proteste in der ganzen Welt
Die Stuhl-Installation soll demnächst auf die CTV-Fläche verlegt werden. Doch das löste jetzt Proteste rund um die Welt aus. Kuniaki Kawahata aus Japan verlor seine 20-jährige Tochter, damals Sprachschülerin. Ihn stören die Stühle gewaltig, da sie dem Wetter ausgesetzt sind, rosten und schmutzig werden. „Alles hat eine Seele in meiner Kultur.
Diese Stühle sind irgendwann Müll und werden weggeschmissen. Falls das die von uns geliebten Menschen repräsentieren soll, kann ich den Anblick nicht ertragen.“ Ein anderer Vater eines Opfers findet es „geschmacklos“, dass die Stühle an eine Stelle wandern, die nicht alle Toten repräsentiert. Überhaupt sei das ganze Werk zu sehr „mit sich selbst beschäftigt“. Ein Kiwi-Kritik-Klassiker.
Auch Sir Antony Gormley hat es nicht leicht mit der Erinnerungskunst. Seine beeindruckend bedrückende Gusseisen-Statue eines gebeugten Mannes, die im River Avon verankert wurde und „Stay“ heißt, wird von Banausen seitdem gehasst: viel zu teuer und nur gut, um im Wasser treibende Äste aufzuhalten. Doch gestern schwammen Blumen drumherum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs