Die Wahrheit: Lärmnudel auf Monsters Schoß
Nichts gegen Kinder – aber warum nur werden ihre Erziehungsberechtigten bei Flugreisen und im Zug bevorzugt behandelt?
D er Versuch war zu offensichtlich. Kurz bevor das Flugzeug in Dublin startete, schlich sich eine junge Mutter von ihrem Sitzplatz zwei Reihen weiter nach vorne und ließ ihre etwa vierjährige Tochter allein am Fensterplatz. Das Kind kreischte wie eine Kreissäge.
Da die Mutter den Sitzgurt festgezurrt hatte, gab es kein Entkommen. Die Stewardess konnte nicht eingreifen, weil das Flugzeug gerade abgehoben hatte. Als wir endlich die Flughöhe erreicht hatten, eilte sie herbei und fragte, zu wem das Mädel gehöre. Weil sich die Mutter taub stellte, meldete ich mich, um zu petzen. Die Stewardess interpretierte das völlig falsch und setzte mir die Lärmnudel auf den Schoß.
Seit vorigem Jahr bietet die indische Billigfluglinie IndiGo kinderfreie Abteile an – allerdings nur in der ersten Klasse. Da ich mir das nicht leisten kann und IndiGo Irland nicht anfliegt, komme ich nicht in den Genuss solch paradiesischer Zustände. Meine Eingaben an die irischen Fluggesellschaften blieben unbeantwortet.
Vermutlich halten die mich für ein Monster. Dabei habe ich gar nicht so viel gegen die kurzbeinigen Radaukisten, aber warum werden ihre Erziehungsberechtigten stets privilegiert behandelt? Bevor der Einstieg ins Flugzeug beginnt, wird gefragt, ob jemand mit Kindern reise. Diese Leute dürfen es sich vorab bequem machen und ihre Siebensachen ausbreiten.
In der Bahn gibt es Mutter-und-Kind-Abteile. Zwar werden auch Ruhebereiche angeboten, aber dort sind nur Handys verboten, nicht aber dezibellastige Kinder. Die Kollegin Julie Bindel fragte einmal einen Schaffner in einer englischen Eisenbahn nach dem Abteil für schlecht gelaunte Lesben mittleren Alters, die jeden töten wollen, der Kartoffelchips oder Äpfel isst.
Der Kollege Arno Frank hatte über das Thema vorigen Oktober in der taz geschrieben und Menschen wie mir geraten, sich gefälligst „der Gemeinschaft komplett“ zu entziehen. Er war damals gerade Vater von Drillingen geworden. Inzwischen sieht er die Sache anders, neulich hat er sich in England sogar ein „Boomerein“ bestellt. „Die sind auf der Insel schon viel weiter“, schwärmte er, „was den Kinderschutz angeht.“ Er meinte den Schutz vor Kindern.
Ein „Boomerein“ ist eine Leine, die am Rücken der Kleinen festgemacht wird. Das andere Ende wird am Gürtel des Aufsichtspersonals eingehakt. Dadurch kann man mehrere Kinder gleichzeitig kontrollieren, zum Beispiel Drillinge, und hat die Hände frei, was wegen der Smartphones heutzutage wichtig ist. Die Leinen entsprechen europäischen Sicherheitsnormen, meldet die Firma.
Selbst beim Einkaufen sind Menschen mit Kindern im Vorteil. Während Behindertenparkplätze vor Supermärkten durchaus ihre Berechtigung haben, sind Familienparkplätze in Eingangsnähe völlig unangebracht. Wenn sie nicht mal hundert Meter über den Parkplatz laufen müssen, werden die Blagen schon frühzeitig fett. Fehlen bloß noch Einkaufswagen mit Kindersitz. Was, die gibt’s schon?
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