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Die WahrheitStille Nacht in Edinburgh

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

Die schottische Hauptstadt feiert Silvester ganz groß. Die Fundamente beben und Kleintiere bekommen Petersilie in die Ohren gestopft – wegen der Böller.

E s war laut wie immer. Edinburgh rühmt sich für das größte Silvesterspektakel Europas, und es dauert drei Tage. Hogmanay, so heißt das Fest, begann schon am Freitag mit einer Prozession von 10.000 Fackelträgern, angeführt von 30 selbst ernannten Wikingern von den Shetland-Inseln und vier ohrenbetäubenden Dudelsackkapellen.

Am Samstag kamen 80.000 Menschen in die Innenstadt, um der Indie-Band Frightened Rabbit zu lauschen. Höhepunkt war ein gigantisches Feuerwerk, das oben auf der Burg abgefeuert wurde und noch in 50 Kilometern Entfernung zu sehen und zu hören war.

Es war vielleicht das letzte Mal. Die Tory-Stadträtin Joanna Mowat will das Feuerwerk zum Schweigen bringen. Das Geknalle versetze Kleinkinder und Tiere in Angst und Schrecken, argumentiert sie: Kühe geben saure Milch, Hühner legen weniger Eier, Schafe bekommen ein graues Fell und „rabbits“ seien „frightened“, warnte Mowat. Mowat hat durchgesetzt, dass sich eine Untersuchungskommission mit ihrem Vorschlag beschäftigt, künftig nur noch geräuschloses Feuerwerk zuzulassen. Im März soll der Bericht vorliegen.

Tiere zu Hause einschließen

Penny Dougherty, die das Hogmanay-Fest im Auftrag der Stadtverwaltung organisiert hat, behauptet dagegen, dass Edinburgh locker mit Sydney, Dubai und Rio mithalten könne, was das Silvesterfest betreffe – solange es ordentlich knallt. Man müsse die Tiere eben zu Hause einschließen und den Kleinkindern Petersilie in die Ohren stopfen. Hogmanay spüle schließlich 42 Millionen Pfund in die städtische Kasse.

Mowat lässt finanzielle Gründe nicht gelten. Als leuchtendes Beispiel führt sie Disneyland bei Paris an, wo seit 2015 nur noch stilles Feuerwerk gezündet werden darf. Ein großartiger Vergleich: Edinburgh als Disneyland mit Schottenrock und Dudelsack?

Mowat mutmaßt, dass die durch das Feuerwerk ausgelösten Vibrationen vielleicht sogar Gebäude zum Einstürzen bringen könnten. Edinburgh ist also doch nicht Disneyland, sondern das schottische Jericho, die tiefstgelegene Stadt der Welt, deren Stadtmauern durch den Klang von sieben Trompeten zum Einsturz gebracht wurden? Das ist durchaus möglich.

Gefahr durch Dudelsäcke

Die schottische Hauptstadt ist allerdings nicht durch Trompeten, sondern durch Dudelsäcke gefährdet. Während der Tourismussaison sind in der Innenstadt mehr Piper unterwegs als die berüchtigten kleinen Stechmücken.

Ist der Brexit vollzogen, wird sich Mowats Lärmproblem von selbst erledigen. Denn die lauten Böller stammen aus dem China der Song-Dynastie, und Italiener haben später zünftige Feuerwerkskunst entwickelt. Also ausländischer Mist, der im Königreich nach dem Abgang nichts mehr zu suchen hat. Und der Dudelsack genauso wenig. Er wird aus Grenadill-Holz hergestellt, das es dort nicht gibt. Stattdessen könnten sich die Piper einen Brit-Tintenfisch unterklemmen und dazu per Mund Quakgeräusche machen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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