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Die WahrheitBob Dylans Albtraum endlich vorbei

Erleichterung in der Welt der Popkultur: Der neue Literaturnobelpreisträger ist seinen alten Stalker Alan J. Weberman für immer los.

Illustration: Stephan Rürup

Er ist leider kein Unbekannter: Alan J. Weberman, der menschliche Aasgeier, der dadurch berühmt wurde, dass er im Jahr 1971 Bob Dylans Müll durchwühlte, eine „Dylan Liberation Front“ gründete und dauernd behauptete, dass Dylan ihm in seinen Songs geheime Botschaften sende. Später streute er das Gerücht, dass Dylan seine Seele an den Teufel verkauft habe und an Aids erkrankt sei, und er belästigte auch Dylans Sohn Jakob mit üblen Nachreden. Trotz alledem ist Weberman jedoch davon überzeugt, dass nicht er von Dylan besessen sei, sondern Dylan von ihm. Auf YouTube kann man sich ansehen und anhören, wie er Dylan einen Rassisten, einen „fucking Nazi“ und „a sick motherfucker“ nennt.

Es war zu ahnen, dass das alles irgendwann auf A. J. Weberman zurückfallen musste, und nun ist es passiert. Ein Reporter der traditionsreichen New Yorker Wochenzeitung The Village Voice hat sich in den Besitz von Webermans Mülltonne gebracht und den Inhalt aufgelistet und ausgewertet. Zwischen Zigarillokippen, angegangenem Thunfischsalat und mumifizierten Kakerlaken ist dabei das Manuskript einer Polemik aufgetaucht, in der Weberman Dylan vorwirft, in seinem Song „Just Like a Woman“ den radioaktiven Fallout im Gefolge eines Nuklearkriegs verharmlost zu haben, und zwar in den Zeilen: „Nobody feels any pain / Tonight as I stand inside the rain“. Dazu hat Weberman vermerkt: „Yeeeeeeeech!!! Now I got him! This sonnaffabitch!“

Aufruf zur Gründung eines „Vierten Reichs“

Außerdem heißt es dort, in dem Song „In the Summertime“, habe Dylan die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und dem rassistischen Staat Südafrika gegen die Kritik von Apartheidsgegnern in Schutz genommen: „Strangers, they meddled in our affairs, / Poverty and shame was theirs.“ Und die Zeile „I long to reach for you in the night“ in dem Song „Lay, Lady, Lay“ sei ein verklausulierter Aufruf an die Deutschen zur Gründung eines „Vierten Reichs“ („reach for“).

Diese Deutungen scheinen jedoch selbst Weberman so hirnrissig vorgekommen zu sein, dass er sie zum Abfall tat. Aufschlussreicher als seine Interpretationen sind ganz andere Dinge, die sich in seiner Restmülltonne angefunden haben – ein aufblasbares Gummihuhn mit dem Aufdruck „Three Entrances of Love“, der Entwurf eines Erpresserbriefs an die Erben von Michael Jackson, eine enorm ausgeleierte Damenstrumpfhose, ein Schmucktelegramm von Donald Trump („We should by all means sit down together and talk“), Teile eines Granatwerfers aus der Produktion der Firma Rheinmetall, 174 Babyschnuller und ein stark zerlesenes Mängelexemplar des Romans „Fifty Shades of Grey“ mit handschriftlichen Randnotizen von Weberman („Whooopeee!“, „Aarrrgh“, „Oh shit“, „Terrific“, „Marvelous!“).

Die bedeutendste Trouvaille bildet aus deutscher Sicht zweifellos das Bündel der Briefe, die ihm der Klatschreporter Franz Josef Wagner geschrieben hat. Von 1971 bis 1984 bat Wagner Weberman insgesamt achtzehnmal eindringlich um die Fortsetzung seiner Recherchen in Dylans Mülltonnen und versprach ihm sogar eine Volontärsstelle bei der Bild-Zeitung für den Beleg, dass Dylan „haschischsüchtig“ sei. „Wir warten hier ein wenig ungeduldig auf das Material, das wir benötigen, um diesen Bänkelsänger endlich bloßstellen zu können“, schrieb Wagner am 28. Dezember 1978 an Weberman. „Die Übersendung einer gebrauchten Haschischspritze aus dem Müll von Mr. Dylan würde vollauf genügen!“

Aber damit konnte Weberman nicht dienen, obwohl er sich redliche Mühe gab. Über ein Inserat in einer Underground-Zeitung versuchte er sich eine Urinprobe von Dylan zu beschaffen, und nach und nach erwarb er tatsächlich insgesamt 328 Liter Urin aus diversen Quellen und in den unterschiedlichsten Behältnissen – teils in Colaflaschen, teils in zweckentfremdeten Schwimmreifen und teils auch in tiefgefrorener Form –, doch das einzige Ergebnis dieses Kaufrauschs war eine Strafanzeige der Nachbarn, die den aus Webermans Apartment dringenden intensiven Geruch nicht länger hinnehmen wollten. Die staatliche Gesundheitsbehörde griff damals ein und stellte außer den Urinproben den stark verwesten Kadaver eines Drogenspürhunds sicher.

Ein altes Tonband bekundet seine sonderbare Stimme

All das geht aus den Dokumenten, die sich im Hausmüll fanden, hervor. Darunter hat sich auch ein schätzungsweise vierzig Jahre altes Tonband mit Gesangsaufnahmen befunden, die beweisen, dass Weberman ein sonderbar meerschweinchenhaftes Timbre in die Wiege gelegt worden ist. Aus den mittlerweile im Internet verbreiteten Kostproben ragt eine schräge Version von „All Along the Watchtower“ hervor, bei der Weberman sich selbst auf einem Badmintonschläger begleitet zu haben scheint. Kurz nach der ersten Strophe hört man jemanden rufen: „Alan, please! Shut the fuck up! We’re all sick of it!“ Und dann murmelt Weberman: „It’s the same old story … the prophet is at last being heard in his own land …“

An der Ostküste hat der Artikel von The Village Voice solche Wellen geschlagen, dass Weberman abgetaucht ist. Berichten zufolge soll er zuletzt in einem arg stockfleckigen Regenmantel auf dem Highway 61 zwischen Lake City und Red Wing gesichtet worden sein und einem Mädchen eine Packung Kaugummi entwunden haben, um sich dann in die Büsche zu schlagen.

Eine Psychoanalytikerin kennt den Weg des Stalkers

„Da gehört er auch hin“, sagt die Psychoanalytikerin Gizella Zounds, die Webermans Lebensweg nun seit mehr als zwanzig Jahren verfolgt. „Es würde ihn jedenfalls überhaupt niemand vermissen. Und das weiß er auch. Das macht ihn ja so aggressiv. Wenn er sich jetzt irgendwo in der Pampa niederlässt, wird er garantiert auch dort wieder jemanden finden, auf dem er herumhacken kann. Und sei’s eine Bisamratte, die er beschuldigen wird, dass sie in das Attentat auf John F. Kennedy verwickelt sei. Aber Mutter Natur wird das dann schon regeln. Da bin ich gar nicht bange. Hauptsache, er verschwindet in der Versenkung …“

Ein frommer Wunsch. Doch wird er auch in Erfüllung gehen? In einem winzigen Nest in Massachusetts hat sich inzwischen eine „Weberman Liberation Front“ formiert, mit dem erklärten Ziel, den höchst umstrittenen Mann aus der Wildnis zurückzuholen. Das Motto dieser Splittergruppe lautet: „Let’s make A. J. Weberman great again!“ Wie das geschehen soll, bleibt freilich bis zum heutigen Tage völlig unklar, zumal Weberman niemals „great“ gewesen ist, sondern immer nur, was die Amerikaner „a pain in the ass“ nennen oder – wenn sie sich gewählter ausdrücken möchten – „some blithering idiot“.

May he stay forever lost.

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