Die Wahrheit: Im Dauerwahldampf

Endlich wieder frei atmen: Eine revolutionäre neue Technik soll Politiker entblähen und den Polittalk von heißer Luft befreien.

Ein Mann hinter einem Maschinchen

Mit der unscheinbaren Maschine kann sogar ein Volumenriese wie Sigmar Gabriel entplustert werden. Foto: ap

In weiten Teilen der Republik – vom braunen Norden bis in den weißblauen Süden – hat er sich breit gemacht: der Wahldampf, jener wahre Nebel des Grauens. Und wo er nicht leibhaftig durch die Lande bläht, da kommt er unablässig aus dem Fernsehgerät gequollen und vernebelt die Sinne des politikinteressierten Bürgers. Auch wenn man es kaum glauben mag, selbst bei den öffentlich-rechtlichen Sendern hat man erkannt, dass die allabendlichen Polit-Talkshows nur noch aus heißer respektive dicker Luft bestehen.

Moderatoren klagen: Es atmet sich in den Studios fast so schwer wie zu Zeiten Helmut Schmidts – und das ganz ohne Zigarettenqualm und leckeren Mentholgeschmack. Schuld ist wohl die Hitze der Scheinwerfer, die den Wahldampf besonders schnell und in großen Mengen entweichen lässt.

Damit soll nun Schluss sein. ARD und ZDF haben ihre letzten Notgroschen zusammengekratzt und eine hocheffiziente neue Entdampfungsanlage mit inkludierter Schwadenabsaugung bauen lassen. Diese muss von Talkshowgästen durchlaufen werden, bevor sie in der Runde Platz nehmen dürfen.

Lebensbedrohliche Dampfextraktion

Die Rundfunk-Verantwortlichen versprechen sich von dieser Maßnahme gehaltvollere Diskussionen und nicht zuletzt auch eine bessere Luftqualität. Letztere scheint allein schon aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen dringend notwendig zu sein.

Der Hochleistungsentdampfer vom Typ Mumilan Steamclean Ex MK2 ist ein wahres Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst. Er verfügt über eine energieeffiziente, per Frequenzumrichter gesteuerte Flutpumpe, die die Entdampfungskammer binnen Sekunden mit einem Extraktionsmittel flutet und anschließend den aus den Politikern heraus emulgierten Dampf absaugt. Nebeneffekt ist eine hohe Reinigungs- beziehungsweise Entfettungsqualität, die durch eine gleichzeitige Konservierung mit modifizierten Alkoholen erreicht wird. Bei aller technischer Raffinesse des Geräts muss man bedenken, dass die Dampfextraktion für einen Politiker lebensbedrohlich sein kann. Die zugeführten Alkohole dienen der Kompensation und Stabilisierung des politischen Organismus und sorgen zusätzlich für ein gesteigertes Gesprächsbedürfnis.

Hutzelzwerge in Fischaugen-Optik

Noch eine weitere Hürde mussten die Entwickler nehmen: Damit die Gäste wegen des entzogenen Dampfs und in der Folge des erhöhten Restfettgehalts im Scheinwerferlicht nicht zu sehr glänzen, durchlaufen sie ein sogenanntes Vorabdampfentfetten, bei dem das ölhaltige Lösemittel in eine Destillationseinrichtung abgeleitet wird. Dann erfolgt automatisch eine feine Pulverbeschichtung mit einem Puder aus der Trickkiste des Maskenbildners. In nur 15 Minuten sind die Talkshowgäste fix und fertig entdampft, entfettet und gepudert.

Die zugeführten Alkohole dienen der Stabilisierung des politischen Organismus

Damit wären sie eigentlich bereit für die Aufzeichnung. Wenn da nicht ein kleiner, unangenehmer Nebeneffekt wäre: Die Politiker verlieren durch das Entdampfen erheblich an Volumen, weshalb sie im Fernsehen viel zu klein und schmächtig wirken würden. Doch die TV-Branche weiß sich zu helfen und setzt jetzt verstärkt aufblähende Weitwinkelobjektive ein, die sogenannten „Fischaugen-Linsen“. Ohne die gewohnte Breitwandoptik würde der Zuschauer einen zum Hutzelzwerg geschrumpften Sigmar Gabriel oder Peter Altmaier auch gar nicht wiedererkennen. Die durch den „Fischaugen“-Einsatz übergroß wirkenden Nasen werden einfach digital retuschiert oder zur Einblendung von Info-Grafiken zum gerade verhandelten Thema genutzt.

Peinliches Malheur

Nun mag man zu Recht fragen, warum diese Technik erst jetzt eingesetzt wird, wo wir schon viele Jahre lang die öden und aufgeblähten Diskussionen in Polit-Talkshows erdulden müssen. Die Antwort ist ganz simpel: Vor Jahren hatte sich eine noch vollkommen unbekannte Politikerin als Versuchsperson für den Vorläufer der heutigen Anlage zur Verfügung gestellt. Allerdings ging der Test gehörig schief. Statt mit Puder war die Probandin vom Mumilan Steamclean Ex MK1 damals mit hocheffizientem Teflon beschichtet worden, welches fortan alle Kritik an ihr abperlen ließ. Und erst dadurch konnte aus der unscheinbaren Angela Merkel überhaupt die mächtige Kanzlerwoman werden.

Erst jetzt, nach über 12 Jahren, scheint die Beschichtung langsam ihre Wirkung zu verlieren. Das peinliche Malheur hielt die Verantwortlichen damals davon ab, den Prototyp weiterzuentwickeln. Doch nun ist der Druck wegen der übelriechenden Dampfschwaden von der CSU bis zur AfD so groß, dass man es doch noch einmal versuchen will. Ob es gelingen wird, bleibt abzuwarten. Hoffen kann man es angesichts der aktuellen Dampfkesselpolitik nur ganz inständig.

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