piwik no script img

Die WahrheitUnendlich verständlich

Auf dem Assoziationskarussell kann man für gutes Geld Erklärformate reiten. Und wer das nicht versteht, sollte hier nicht weiterlesen …

S ie zahlten einfach zu gut. Oder mit Otto Waalkes’ Worten gesagt: „Sie haben mich gezwungen! Mit Geld.“ Gebucht hatte mich der Dozent einer Journalistenschule für einen Beitrag in dem Seminar „Endlich verständlich: Alles über Erklärformate“. Ich konnte nicht nein sagen.

Einen schweren Brocken tischte ich den Studenten auf, den sie erst selbst verstehen, dann erklären sollten. Oder, wie ich insgeheim hoffte, den Satz als heillosen Unfug entziffern: „Ob Anschlag oder Attentat – jedes Terrorszenario pendelt zwischen Amok und Koma.“

Der Workshop verlief dermaßen grandios, dass der Dozent mit mir einen weiteren Sondertermin im nächsten Semester verabredete. Wir werden unter der Überschrift „Beliebte Artikel“ die Kategorien „Aufsteigend – Meistgelesen – Meistkommentiert – Meistgeteilt“ analysieren, praxisnah, versteht sich, wo kämen wir dahin. Ich freue mich schon drauf.

Ich überlegte, ob ich gleich die Gattung „Was wir wissen, was nicht und was uns egal ist“ einbaue, eingedenk der medial stetig enger getakteten Weltereignisse, die sogar mich manchmal verleiten, alle zehn Minuten meinen Egosmart einzuschalten. – Halt, Moment mal … war da nicht etwas in meinem Assoziationsgerümpel angedockt, das dem ähnelte? Etwas, das sich um Beschleunigung, um Tempo drehte, um „alle soundsoviel Minuten“? War da etwas verschüttgegangen, das mich in meiner Eigenschaft als Creative Consultant beansprucht hatte? Und das weniger im gesellschaftlichen, ähem, Diskurs verankert war, sondern mehr im lauschigen Privatleben, wenngleich öffentlich verhandelt?

Richtig. Mir war damals die Werbebotschaft der Online-Partnervermittlung namens Parship aufgestoßen: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship“. Na und?, lautete ein Impuls. Ich meine, man kann sich je nach Ort und Zeit alle drei Minuten verlieben, nur bedeutet das rein gar nichts, mindestens insofern ja das Gegenüber womöglich Null­komma­null Interesse zeigt.

Zugegeben, diese 100 Prozent Desinteresse sind in meinem Fall reine Theorie. Mir geht es da wie Jean Gabin in dem Ganovenfilm „Wenn es Nacht wird in Paris“. Ein Kumpel, schnöde verlassen von seiner Freundin, bittet untröstlich Gabin, ihm Tipps zu geben, wie er damit klar kommt. Gabin zuckt mit den Schultern. Ihm sei das nie passiert.

Um diese Erzählung, die in eine typisch bescheiden propagierte Erfolgsstory auszuarten droht, zu Ende zu führen: Dank meiner Beratung hatten die bei Parship die Schwäche der Aussage begriffen und schoben sie verschämt nach sehr weit unten. Vielleicht aber doch nicht dank meines Hinweises, sondern auch wegen des Spotts und der Häme, die im Netz sonder Zahl erschienen waren.

So oder so, generös verzichtete ich auf einen Streit ob des Honorars. Ohnehin wechseln die beliebten Paradigmen in Sachen Liebe, Erotik, Sex und so weiter, was wir wissen und was nicht: Ich Provinzler erfuhr erst jetzt, zu den Cisgendern zu gehören. Werde ich demnächst unendlich verständlich erklären.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Sind Sie ganz sicher, Herr zur Nedde? Ich meine: Glauben Sie wirklich, dass Sie "demnächst unendlich verständlich erklären" werden, was Cisgender sind? Es könnte schließlich sein, dass Sie dazu gar nicht gezwungen werden. Zumindest nicht mit Geld. Weil sich's vielleicht nicht rechnen wird, was zu erklären (bzw. erklären zu lassen), was schon das Internet ganz kostenlos und doch auch halbwegs seriös erklärt. Zumindest, wenn man mal großzügig absieht von der obligatorischen Vorweihnachtsspende an das Internetlexikon Wikipedia.

     

    Nun ja. Auf dem Assoziationskarrussell ist offenbar tatsächlich sehr gut Erklärformate reiten. Zumindest dann, wenn sehr gut lukrativ meint. Wobei ich (immer noch) nicht (so ganz) verstehe, wieso dermaßen viele Leute sich Dinge, die schon assoziiert sind in ihrem Kopf, nachher auch noch für (zu viel) Geld erklären lassen wollen. Mir fällt nur eine einzige Erklärung ein: Geld verleiht offensichtlich Autorität in ihren dunkelblauen Augen. Wenn sie jemandem Geld geben dafür, dass der jemanden bezahlt, der ihnen was erklärt, was sie schon selbst zu wissen meint, dann dürfen sie nachher ganz sicher sein, dass ihre Vorurteile gut sind und Realität.

     

    So oder jedenfalls so ähnlich. Ja ja, ich weiß schon, "unendlich verständlich" war das jetzt nicht. Dafür war's aber auch ganz kostenlos